Im Schatten der neuen US-Handelspolitik navigieren Zentralbanken weltweit durch zunehmend turbulente Gewässer. Die Europäische Zentralbank (EZB) senkte gestern ihre Leitzinsen wie erwartet um 25 Basispunkte auf 2,25% – bereits die siebte Zinssenkung innerhalb eines Jahres. Diese Entscheidung fällt in eine Zeit, in der die von Donald Trump verhängten Zölle die Weltwirtschaft in Atem halten und Notenbanker zu schwierigen Abwägungen zwischen Inflationsbekämpfung und Wachstumsförderung zwingen.
Europas Zinswende unter dem Schatten der Handelskonflikte
Die EZB steht vor erheblichen Herausforderungen. Nach Schätzungen der Notenbank könnte das Wachstum in den 20 Ländern der Eurozone in diesem Jahr um einen halben Prozentpunkt niedriger ausfallen, wenn die angekündigten US-Zölle vollständig umgesetzt werden. Dies würde etwa die Hälfte des für 2025 erwarteten Wirtschaftswachstums zunichtemachen. Gleichzeitig nähert sich der Euro einem Dreijahreshoch gegenüber dem angeschlagenen Dollar, während der reale effektive Wechselkurs des Euro den höchsten Stand seit einem Jahrzehnt erreicht hat.
Die europäische Geldpolitik bewegt sich auf einem schmalen Grat. EZB-Beobachter erwarten, dass die Notenbank bei ihrer gestrigen Entscheidung zwar den Leitzins gesenkt, aber wenig Klarheit über die Auswirkungen der Trumpschen Zölle auf Wachstum und Inflation geboten hat. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reiste unterdessen nach Washington, um im persönlichen Gespräch mit Trump Spannungen abzubauen und sich als Vermittlerin zwischen den USA und der EU zu positionieren.
Divergierende Geldpolitik im globalen Kontext
Während Europa den Zinssenkungspfad fortsetzt, zeigt sich in anderen Ländern ein differenzierteres Bild. Überraschend erhöhte die türkische Zentralbank ihren Leitzins von 42,5% auf 46% – entgegen früherer Lockerungstendenzen und entgegen den Erwartungen von Ökonomen. Diese drastische Maßnahme steht im Zusammenhang mit politischen Unruhen nach der Inhaftierung von Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu, einem Hauptgegner von Präsident Erdogan bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Die daraus resultierenden Proteste und Verhaftungen führten zu einem Ausverkauf der Lira und erhöhtem Druck auf die Währungsreserven des Landes.
In der Ukraine hielt die Zentralbank ihren Leitzins bei 15,5% konstant und senkte gleichzeitig ihre Wachstumsprognose für 2025 auf 3,1% (zuvor: 3,6%). Die ukrainischen Währungshüter erwarten, dass die Inflation zum Jahresende bei 8,7% liegen wird, da die globalen Handelsstreitigkeiten und kriegsbedingte Herausforderungen die wirtschaftliche Erholung begrenzen. Besonders die durch russische Bombardierungen schwer beschädigte Erdgasinfrastruktur und der anhaltende Fachkräftemangel belasten die ukrainische Wirtschaft.
In Thailand warnte die Zentralbank, dass die US-Zölle das Wirtschaftswachstum spürbar beeinträchtigen werden. Als eines der am stärksten betroffenen Länder Südostasiens sieht sich Thailand mit einer drohenden Zollbelastung von 36% konfrontiert, falls bis Juli keine Verringerung ausgehandelt werden kann. Nach Einschätzung der Notenbank dürfte das BIP-Wachstum in diesem Jahr unter 2,5% fallen – ein deutlicher Rückgang gegenüber früheren Prognosen. Finanzminister Pichai Chunhavajira hatte bereits Anfang April gewarnt, dass die Zölle das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft Südostasiens um einen Prozentpunkt reduzieren könnten.
Alarmzeichen aus der Realwirtschaft
Die Unsicherheit durch die neue US-Handelspolitik zeigt bereits konkrete Auswirkungen auf Unternehmen. Der US-Baukonzern D.R. Horton senkte seine Umsatzprognose für das Gesamtjahr deutlich auf 33,3 bis 34,8 Milliarden Dollar (zuvor: 36 bis 37,5 Milliarden Dollar) und rechnet nun mit 85.000 bis 87.000 Hausverkäufen statt der bisher erwarteten 90.000 bis 92.000. CEO Paul Romanowski erklärte: "Die Frühjahrs-Verkaufssaison 2025 begann langsamer als erwartet, da potenzielle Hauskäufer angesichts anhaltender Erschwinglichkeitsprobleme und sinkendem Verbrauchervertrauen vorsichtiger agieren."
Die Aktie des Bauunternehmens fiel im vorbörslichen Handel um 3,2%. Die steigende wirtschaftliche Unsicherheit in den USA, verstärkt durch Trumps Zollpolitik, könnte Bauunternehmen weiter unter Druck setzen, da die Erschwinglichkeit von Wohnraum in einem Umfeld hoher Zinsen zusätzlich belastet wird.
Finanzmärkte im Spannungsfeld geopolitischer Unsicherheit
An den globalen Finanzmärkten zeigen sich deutliche Spuren der Verunsicherung. Der Euro gab gegenüber dem Dollar um 0,3% nach und notierte bei 1,13685 Dollar, nicht weit von seinem Dreijahreshoch entfernt, das er am vergangenen Freitag erreicht hatte. Europäische Aktien verzeichneten leichte Verluste, der STOXX 600 fiel um 0,4%, während die US-Futures nach der gestrigen Talfahrt eine Erholung signalisierten.
Gold setzte seinen Höhenflug fort und markierte bei 3.357,40 Dollar je Unze ein neues Rekordhoch, getrieben von Safe-Haven-Flows und der Schwäche des Dollars. Der Greenback hat in den vergangenen Wochen erheblich an Wert verloren, da das Vertrauen der Investoren in das US-Wirtschaftswachstum und die Stabilität durch die zollinduzierten Marktturbulenzen erschüttert wurde.
Fed-Chef Jerome Powell mahnte zur Vorsicht und warnte, dass Trumps Zollpolitik das Risiko berge, sowohl die Inflation als auch die Beschäftigung von den Zielen der Zentralbank wegzubewegen. "Powell befindet sich zwischen Hammer und Amboss", kommentierte Tom Graff, Chief Investment Officer bei Facet Wealth. "Die Fed kann nicht proaktiv handeln, um potenzielle wirtschaftliche Schwächen einzudämmen, da Zölle wahrscheinlich auch Inflation verursachen werden."
Arbeitsmarkt als Stimmungsbarometer
In diesem herausfordernden Umfeld liefern die Arbeitsmarktdaten gemischte Signale. In China sank die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten im März leicht auf 16,5% (Februar: 16,9%), während die landesweite städtische Arbeitslosenquote von einem Zweijahreshoch von 5,4% auf 5,2% zurückging. Die chinesische Führung hat neue Richtlinien für hochwertige Beschäftigungsdienste für Hochschulabsolventen angekündigt, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Währenddessen kämpft die Ukraine mit einem anhaltenden Fachkräftemangel, da Millionen Ukrainer nach der russischen Invasion im Jahr 2022 ins Ausland geflohen sind und die Kriegsbehörden weiterhin zivile Männer im wehrfähigen Alter in die Streitkräfte einziehen.
Ausblick: Stagflation als drohendes Szenario?
Die Kombination aus erhöhten Zöllen, gestörten Lieferketten und geopolitischen Spannungen nährt Befürchtungen vor einem stagflationären Szenario – einer toxischen Mischung aus schwachem Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig erhöhter Inflation. "Es gibt Bedenken hinsichtlich des stagflationären Ausblicks, vor dem Powell gewarnt hat, und ich denke, es besteht die Möglichkeit, dass auch die EZB vor einem stagflationären Ausblick für die Eurozone warnt", sagte City-Index-Strategin Fiona Cincotta.
Während die Zentralbanken weltweit versuchen, ihre geldpolitischen Instrumente anzupassen, zeigt sich zunehmend, dass die traditionellen Werkzeuge angesichts der aktuellen Herausforderungen an ihre Grenzen stoßen könnten. Timothy Ash, ein auf Schwellenmärkte spezialisierter Fellow der Chatham House, sieht jedoch auch positive Entwicklungen: "Ich denke, die Disinflation sollte von hier an schnell voranschreiten, da globale Handelskriege die Weltwirtschaft verlangsamen und die Preise für importierte Rohstoffe für Länder wie die Türkei senken werden. Dies könnte ihnen ermöglichen, die Zinsen zu senken, vielleicht sogar recht aggressiv bis zum Jahresende."
Die kommenden Wochen dürften entscheidend sein für die weitere Entwicklung der globalen Wirtschaft. Viel wird davon abhängen, ob es gelingt, die Handelsspannungen zu entschärfen und ein kooperativeres internationales Wirtschaftsklima zu schaffen. Die Zentralbanken jedenfalls bereiten sich auf turbulentere Zeiten vor.