Tesla, Delivery Hero & DAX: Wenn KI-Träume auf harte Realität treffen
Liebe Leserinnen und Leser,
manchmal braucht es nur einen Satz, um Milliarden zu vernichten – oder zu erschaffen. Diese Woche erlebten Anleger beides: Während Elon Musk sich ein potenzielles Billionen-Dollar-Vergütungspaket sicherte, stürzten Tech-Werte unter der Last überzogener KI-Erwartungen ab. Der DAX verlor erneut, Delivery Hero rutschte auf Jahrestief, und selbst die Hoffnung auf sinkende Zinsen konnte die Nervosität nicht vertreiben. Zwischen Regierungsstillstand in den USA, schwachen China-Daten und der Frage, ob die KI-Blase platzt, wird eines deutlich: Die Märkte suchen nach neuer Orientierung – und finden sie vorerst nicht.
Der Billionen-Deal: Musk bindet sich an Tesla – zu welchem Preis?
Mehr als 75 Prozent der Tesla-Aktionäre haben zugestimmt: Elon Musk erhält ein Vergütungspaket, das bei Erfolg bis zu eine Billion Dollar wert sein könnte. Die Bedingungen klingen ambitioniert: Tesla muss in zehn Jahren einen Börsenwert von 8,5 Billionen Dollar erreichen – fast das Sechsfache des heutigen Werts. Hinzu kommen operative Ziele wie die Auslieferung von 20 Millionen Fahrzeugen, eine Million Robotaxis im Einsatz und eine Million ausgelieferter KI-Roboter.
Doch die Börse reagierte skeptisch. Die Aktie verlor zeitweise über vier Prozent und notierte am Freitag bei 433 Dollar. Die UBS bekräftigte ihre „Sell“-Empfehlung mit Kursziel 247 Dollar. Der Grund: Tesla steuert auf das zweite Jahr mit Absatzrückgang zu, während Musk die Zukunft in autonomen Taxis und humanoiden Robotern sieht – Bereiche, die noch keine nennenswerten Umsätze generieren. Die Frage bleibt: Ist das visionäre Strategie oder Ablenkung von den Problemen im Kerngeschäft?
DAX unter Druck: Wenn Autobauer die Einzigen sind, die steigen
Der deutsche Leitindex schloss am Freitag mit minus 0,7 Prozent bei 23.570 Punkten – und das, obwohl ausgerechnet die zuletzt gebeutelten Autowerte Stabilität zeigten. BMW legte 2,2 Prozent zu, VW 1,5 Prozent. Die Deutsche Bank sieht „erste Anzeichen für eine Erholung der Branche“, gestützt durch Entspannungssignale im Chip-Streit zwischen den USA und China. Nexperia, ein wichtiger Halbleiter-Zulieferer, darf nach chinesischen Exportbeschränkungen wieder liefern – eine Erleichterung für die Automobilindustrie.
Doch der Rest des Marktes kämpft. Scout24 brach um 4,9 Prozent ein, nachdem der britische Wettbewerber Rightmove mit einem enttäuschenden Ausblick schockierte. Der schwache Michigan-Index aus den USA befeuerte zwar Zinssenkungshoffnungen, konnte aber die Sorgen vor einer KI-Blase nicht zerstreuen. Mit einem Verbrauchervertrauen von nur noch 50,3 Punkten – knapp über der Wachstumsschwelle – mehren sich die Zeichen wirtschaftlicher Abkühlung.
Delivery Hero: Vom Pandemie-Star zum Sorgenkind
38 Prozent Minus seit Mitte September – die Delivery Hero-Aktie ist zum Spielball der Marktstimmung geworden. Am Freitag fiel sie auf 18,16 Euro, den tiefsten Stand seit August 2024. Allein in dieser Woche verlor das Papier 16 Prozent. Die Gründe sind vielschichtig: Zum einen die allgemeine Skepsis gegenüber Wachstumsunternehmen, zum anderen konkrete Bedrohungen. Uber soll Interesse am türkischen Lieferdienst Getir zeigen – ein direkter Konkurrent zu Delivery Heros Yemeksepeti in der Türkei.
Der Börsenwert ist auf 5,5 Milliarden Euro geschrumpft, ein Drittel weniger als zu Jahresbeginn. Zum Vergleich: Anfang 2021, auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie, war das Unternehmen fast 30 Milliarden Euro wert. JPMorgan hält zwar an „Overweight“ mit Kursziel 34 Euro fest – allerdings nicht wegen operativer Verbesserungen, sondern in Hoffnung auf eine Übernahme durch Großaktionär Prosus. Eine bittere Ironie: Die Rettung soll von außen kommen, nicht aus eigener Kraft.
Fed bremst Zinshoffnungen: Powells kalte Dusche
„Nicht ausgemacht“ – mit diesen Worten zerstörte Jerome Powell die Gewissheit einer Zinssenkung im Dezember. Vor der Sitzung hatten Märkte diese noch als sicher eingepreist, danach lag die Wahrscheinlichkeit nur noch bei 61 Prozent. Der Fed-Chef verwies auf höheres Wachstum, hartnäckige Inflation und vor allem fehlende Konjunkturdaten durch den Government Shutdown. „Wir stochern im Nebel“, so Powell – und im Nebel senkt man besser langsam die Zinsen.
Die Reaktion ließ nicht auf sich warten: US-Zehnjahresrenditen stiegen auf 4,10 Prozent, der Dollar legte zu. Besonders pikant: Zwei Ausschussmitglieder stimmten gegen die beschlossene Senkung um 0,25 Prozentpunkte – allerdings in entgegengesetzte Richtungen. Stephen Miran wollte gleich einen halben Punkt senken, Jeffrey Schmid gar nicht. Diese Uneinigkeit spiegelt die Unsicherheit wider, in der sich die Fed bewegt. Erschwerend kommt hinzu: Der längste Shutdown der US-Geschichte kostet laut Congressional Budget Office bereits 18 Milliarden Dollar – und ein Ende ist nicht in Sicht.
Anleihen als sicherer Hafen: Erste Fluchtbewegungen erkennbar
„Safe-Haven-Zuflüsse“ – so beschreibt die ICF Bank die Bewegungen am Rentenmarkt. Französische und niederländische Staatsanleihen waren diese Woche stark gesucht, ebenso Unternehmensanleihen mit langen Laufzeiten. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen stieg zwar moderat auf 2,66 Prozent, doch der Trend ist eindeutig: Investoren suchen Sicherheit.
Besonders bemerkenswert: Alphabet gab gleich 14 Anleihen aus – in Dollar und Euro – um die massiven KI-Investitionen zu finanzieren. Eine erst 2064 fällige Euro-Anleihe rentiert mit 4,4 Prozent. Die LBBW sieht darin eine klare Botschaft: „Sollte es zu einer ausgeprägteren Korrektur der zurückliegenden Aktienhausse kommen, könnte dies Anleger verstärkt zu Umschichtungen in Rentenpapiere motivieren.“ Die Frage ist nicht ob, sondern wann.
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Apropos KI- und Chip-Investitionen: Während Tesla und Alphabet Milliarden in neue Technologien stecken, entstehen im Hintergrund auch hierzulande Chancen. In meinem aktuellen Markt-Update beleuchte ich, welches europäische Halbleiterunternehmen vom „Chip-Krieg“ zwischen den USA und China besonders profitieren könnte – und warum Analysten es bereits als die „neue Nvidia“ sehen. Wer sich für die Entwicklung der nächsten Tech-Zyklen interessiert, findet den vollständigen Bericht hier: Zur Analyse
Krypto-Comeback mit Fragezeichen: Bitcoin kratzt an 100.000 Dollar
Der Top 10 Crypto ETP von finanzen.net und CoinShares zeigt es deutlich: Seit der Erstnotiz im September 2024 legte das Produkt 51,5 Prozent zu. Bitcoin erreichte im Juli ein Allzeithoch von 123.000 Dollar, übertraf sich im Oktober mit 125.000 Dollar selbst – und korrigierte dann. Aktuell notiert die Leitwährung bei knapp 100.000 Dollar, die Stimmung ist verhalten.
Dennoch gibt es Lichtblicke: Ripple gab eine strategische Investition von 500 Millionen Dollar bekannt, angeführt von Fortress und Citadel Securities. Die Bewertung: 40 Milliarden Dollar. Das Unternehmen will Blockchain-Lösungen für Zahlungen, Verwahrung und Prime Brokerage ausbauen. Allein der Stablecoin RLUSD überschritt weniger als ein Jahr nach Start eine Marktkapitalisierung von 1 Milliarde Dollar. Die institutionelle Adoption schreitet voran – auch wenn Privatanleger derzeit zögern.
Ausblick: Zwischen Berichtssaison und politischen Weichenstellungen
Die kommende Woche bringt Klarheit – oder neue Unsicherheit. Allianz, Siemens, Bayer, Eon, Infineon und Munich Re öffnen ihre Bücher. In Deutschland legen die Wirtschaftsweisen ihr Jahresgutachten vor, der Haushaltsausschuss berät den Etat 2026. Aus den USA fehlen weiterhin offizielle Arbeitsmarktdaten, dafür liefert ADP nun wöchentliche Schätzungen: Zuletzt nur noch 14.250 neue Stellen im 4-Wochen-Schnitt – ein Warnsignal.
Währenddessen zeigt sich in Argentinien, was politischer Wille bewirken kann. Javier Mileis Koalition gewann die Zwischenwahlen, die marktwirtschaftlichen Reformen werden fortgesetzt. In Japan durchbrach der Nikkei erstmals die 50.000-Punkte-Marke. Und in der Schweiz hält die UBS an ihrer „Sell“-Empfehlung für Tesla fest – während Musk von Billionen träumt.
Die Märkte stehen an einem Wendepunkt. KI-Euphorie weicht Realismus, Zinshoffnungen werden gedämpft, geopolitische Risiken bleiben. Wer jetzt investiert, braucht nicht nur Mut, sondern vor allem einen klaren Kopf. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die Korrektur eine gesunde Konsolidierung oder der Beginn von etwas Größerem ist.
Beste Grüße und ein erholsames Wochenende,
Andreas Sommer


