EZB senkt Leitzins: Handelskonflikte zwingen zu Lockerung

Die Europäische Zentralbank reagiert mit einer weiteren Zinssenkung auf globale Handelskonflikte und deren Auswirkungen auf die Eurozone. Inflation nähert sich Zielwert.

EZB senkt Leitzins: Handelskonflikte zwingen zu Lockerung
Kurz & knapp:
  • EZB senkt Leitzins um 0,25 Prozentpunkte
  • Handelskonflikte belasten Wirtschaftsausblick
  • Inflation nähert sich mittelfristigem Zielwert
  • Experten erwarten weitere Zinssenkungen

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag die Leitzinsen erneut um 0,25 Prozentpunkte gesenkt – die siebte Zinssenkung binnen eines Jahres. Der Einlagensatz, der für die geldpolitische Ausrichtung entscheidend ist, liegt nun bei 2,25 Prozent. Mit dieser einstimmigen Entscheidung reagiert die Notenbank auf die zunehmende Unsicherheit durch globale Handelsspannungen, die Europas ohnehin fragile Wirtschaft zusätzlich belasten.

Handelskonflikte verdüstern Wirtschaftsausblick

"Der wirtschaftliche Ausblick ist von außergewöhnlicher Unsicherheit überschattet", erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Zinsentscheidung. Die massiven US-Zölle, die Präsident Trump auf nahezu alle ausländischen Waren verhängt hat, stellen eine erhebliche Bedrohung für die exportabhängige Eurozone dar. "Die wesentliche Eskalation globaler Handelsspannungen und die damit verbundenen Unsicherheiten werden das Wachstum der Eurozone wahrscheinlich verringern, indem sie die Exporte dämpfen", betonte Lagarde.

Die Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum haben deutlich zugenommen. Besonders besorgniserregend: Der Handelskonflikt könnte nicht nur den Export beeinträchtigen, sondern auch Investitionen und Konsum in der Eurozone zurückgehen lassen. Die negativ-volatile Marktreaktion auf die Handelsspannungen dürfte zudem die Finanzierungsbedingungen verschärfen.

Andrew Kenningham, Chefvolkswirt für Europa bei Capital Economics, kommentierte: "Die geldpolitische Erklärung weist eindeutig auf weitere geldpolitische Lockerungen hin. Die Erklärung besagt, dass sich die Wachstumsaussichten aufgrund von ’steigenden Handelsspannungen‘ verschlechtert haben."

Inflation auf dem Weg zum Zielwert

Die Zinssenkung wurde durch positive Entwicklungen bei der Inflationsbekämpfung ermöglicht. "Der Disinflationsprozess ist gut auf Kurs. Die Inflation hat sich weiterhin wie von den Mitarbeitern erwartet entwickelt, wobei sowohl die Gesamt- als auch die Kerninflation im März zurückgegangen sind", erklärte Lagarde. Die Jahresinflation sank im März leicht auf 2,2 Prozent, während die Energiepreise um 1,0 Prozent fielen.

Besonders erfreulich: Die Dienstleistungsinflation ist in den letzten Monaten deutlich zurückgegangen und lag im März bei 3,5 Prozent – ein halber Prozentpunkt weniger als Ende des Vorjahres. Die meisten Indikatoren der zugrundeliegenden Inflation deuten darauf hin, dass sich die Inflation nachhaltig dem mittelfristigen Zielwert der EZB von zwei Prozent annähert.

Auch die Lohnentwicklung zeigt eine allmähliche Mäßigung. Im letzten Quartal 2024 lag das jährliche Wachstum der Vergütung pro Beschäftigten bei 4,1 Prozent, nach 4,5 Prozent im Vorquartal. Steigende Produktivität führte zudem zu einem langsameren Wachstum der Lohnstückkosten. Der EZB-Lohntracker und Informationen aus Unternehmenskontakten deuten auf einen weiteren Rückgang des Lohnwachstums im Jahr 2025 hin.

Dollarkrise und Währungseffekte

Die Auswirkungen des Handelskonflikts zeigen sich auch auf den Devisenmärkten. Der Euro hat in den letzten Wochen an Stärke gewonnen, da die Stimmung der Investoren gegenüber der Eurozone widerstandsfähiger war als gegenüber anderen Volkswirtschaften. Diese Aufwertung könnte zusätzlich deflationären Druck erzeugen.

Besonders angespannt ist die Lage zwischen den USA und Japan. Trump beschuldigte Tokyo im vergangenen Monat, eine Politik zur Abwertung des Yen zu verfolgen, was den Japanern einen unfairen Handelsvorteil verschaffe. Analysten warnen jedoch vor den Risiken einer erzwungenen Währungsmanipulation.

"Der Versuch Tokyos, die Bank of Japan zu einer Beschleunigung der Zinserhöhungen zu zwingen, könnte den Yen nach oben treiben, birgt aber die Gefahr, Japans keimende wirtschaftliche Erholung zu ersticken und die Idee der Unabhängigkeit der Zentralbank mit Füßen zu treten", warnen Experten. Japanische Beamte könnten auch US-Dollar gegen Yen verkaufen, müssten aber Milliarden von Dollar aus US-Schulden abziehen – zu einem Zeitpunkt, an dem die Märkte besonders fragil sind.

Die Citigroup sieht Japan als Hauptziel, falls die Trump-Administration auf eine koordinierte Abwertung des Dollars abzielt, um die USA global wettbewerbsfähiger zu machen – ein Vorschlag, der als "Mar-a-Lago-Abkommen" bezeichnet wird, in Anlehnung an das Plaza-Abkommen von 1985 und Trumps Resort in Florida.

Arbeitsmarkt und Wirtschaftsindikatoren

Trotz der Handelsunsicherheiten zeigen sich zumindest auf dem US-Arbeitsmarkt noch positive Signale. Die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA sank in der Woche zum 12. April um 9.000 auf saisonbereinigt 215.000, wie das Arbeitsministerium am Donnerstag mitteilte. Ökonomen hatten 225.000 Anträge prognostiziert.

Diese Daten deuten darauf hin, dass die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt im April stabil blieben, obwohl die Unsicherheit rund um Zölle Unternehmen zögerlich macht, Neueinstellungen vorzunehmen. Die niedrigen Entlassungszahlen haben den Arbeitsmarkt bisher gestützt.

Auch im Bausektor gibt es positive Anzeichen: Die Baugenehmigungen in den USA stiegen um 1,6% und übertrafen damit die Erwartungen. Dies markiert eine deutliche Verbesserung gegenüber dem vorherigen Bericht, der einen Rückgang von -1,0% verzeichnete. Der Anstieg der Baugenehmigungen signalisiert ein höheres Vertrauen im Bausektor, was zu einer Steigerung der wirtschaftlichen Aktivitäten führen könnte.

Datenabhängige Geldpolitik

Angesichts der erhöhten Unsicherheit lehnt die EZB eine Festlegung auf einen bestimmten Zinspfad ab. "Wir werden einem datenabhängigen und Sitzung-für-Sitzung-Ansatz folgen, um den angemessenen geldpolitischen Kurs zu bestimmen", betonte Lagarde. "Es gibt keine bessere Zeit, um datenabhängig zu sein, es gibt keine bessere Zeit, um sich auf eine sehr starke und solide Analyse durch all unsere Mitarbeiter zu verlassen."

Die Zinsentscheidungen werden auf der Bewertung der Inflationsaussichten im Lichte der eingehenden wirtschaftlichen und finanziellen Daten, der Dynamik der zugrundeliegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission basieren. "Wir verpflichten uns nicht zu einem bestimmten Zinspfad", stellte Lagarde klar.

Die Märkte gehen derzeit von zwei bis drei weiteren Zinssenkungen um je 0,25 Prozentpunkte in diesem Jahr aus. Dean Turner, Chefökonom für die Eurozone bei UBS Global Wealth Management in London, erwartet "eine weitere Zinssenkung im Juni, mit der Möglichkeit weiterer Lockerungen später im Jahr, abhängig davon, wie die Handelsverhandlungen verlaufen."

Fiskalische und strukturelle Reformen

Die EZB betont, dass die aktuelle geopolitische Lage dringende fiskalische und strukturelle Maßnahmen erfordert, um die Widerstandsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. "In der gegenwärtigen politischen Umgebung ist es noch dringender, dass fiskalische und strukturelle Maßnahmen die Wirtschaft der Eurozone produktiver, wettbewerbsfähiger und widerstandsfähiger machen", so die Notenbank.

Der Competitiveness Compass der Europäischen Kommission biete einen konkreten Fahrplan für Maßnahmen, dessen Vorschläge, einschließlich der Vereinfachung, schnell angenommen werden sollten. Die EZB fordert auch die Vollendung der Spar- und Investitionsunion nach einem klaren und ehrgeizigen Zeitplan, was Sparern helfen würde, mehr Investitionsmöglichkeiten zu nutzen, und den Zugang von Unternehmen zu Finanzmitteln, insbesondere Risikokapital, verbessern würde.

Die Regierungen sollten nachhaltige öffentliche Finanzen im Einklang mit dem wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmen der EU sicherstellen und wachstumsfördernde Strukturreformen sowie strategische Investitionen priorisieren. Als positive Entwicklung hob Lagarde die wachsenden Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben hervor, die zum Wachstum beitragen würden.

Die kommende Regierungsbildung in Deutschland und anderen Ländern wird ebenfalls für mehr Klarheit sorgen, wohin sich die Situation entwickeln wird. Bis dahin bleibt die EZB in Alarmbereitschaft, bereit, alle ihre Instrumente innerhalb ihres Mandats anzupassen, um sicherzustellen, dass sich die Inflation nachhaltig auf ihrem mittelfristigen Zielwert stabilisiert.

Über Felix Baarz 69 Artikel
Mit über fünfzehn Jahren Erfahrung als Wirtschaftsjournalist hat sich Felix Baarz als Experte für internationale Finanzmärkte etabliert. Seine Leidenschaft gilt den Mechanismen globaler Finanzmärkte und komplexen wirtschaftspolitischen Zusammenhängen, die er für seine Leserschaft verständlich aufbereitet.In Köln geboren und aufgewachsen, entdeckte er früh sein Interesse für Wirtschaftsthemen und internationale Entwicklungen. Nach seinem Studium startete er als Wirtschaftsredakteur bei einer renommierten deutschen Fachpublikation, bevor ihn sein Weg ins Ausland führte.Ein prägendes Kapitel seiner Karriere waren die sechs Jahre in New York, wo er direkten Einblick in die globale Finanzwelt erhielt. Die Berichterstattung von der Wall Street und über weltweite wirtschaftspolitische Entscheidungen schärfte seinen Blick für globale Zusammenhänge.Heute ist Felix Baarz als freier Journalist für führende Wirtschafts- und Finanzmedien im deutschsprachigen Raum tätig. Seine Arbeit zeichnet sich durch fundierte Recherchen und präzise Analysen aus. Er möchte nicht nur Fakten präsentieren, sondern auch deren Bedeutung erklären und seinen Lesern Orientierung bieten – sei es zu wirtschaftlichen Trends, politischen Entscheidungen oder langfristigen Veränderungen in der Finanzwelt.Zusätzlich moderiert er Diskussionen und nimmt an Expertenrunden teil, um sein Wissen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dabei liegt sein Fokus darauf, komplexe Themen informativ und inspirierend zu vermitteln. Felix Baarz versteht seine journalistische Aufgabe darin, in einer sich schnell wandelnden Welt einen klaren Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu ermöglichen und seine Leser bei fundierten Entscheidungen zu unterstützen – beruflich wie privat.