Was für eine Zeit! Im Traum hätte ich mir nicht vorgestellt, dass die russische Invasion in die Ukraine wirklich voll durchgezogen wird. Säbelrasseln ja, kleine Angriffe mit kleinen Landgewinnen oder Stabilisierung ja. Aber das?
Was hat sich am Aktienmarkt ereignet?
Eine Entmilitarisierung und Denazifizierung als offizielles Narrativ? Ich bin schockiert und völlig überrascht. Eine unglaublich wilde Zeit liegt hinter uns und auch vor uns, aber vielleicht erst einmal nicht am Aktienmarkt.
Nichtsdestotrotz habe ich in Bezug auf den Aktienmarkt den Kurs-Verlauf auf Basis dieses worst-case Szenarios letzte Woche Dienstag, als die USA ihre Botschaft in Kiew geschlossen haben, skizziert. Hier einmal der Rückblick unserer Marktkommentare – die Größenordnungen und Referenzmarken beziehen sich dabei immer auf den S&P 500:
Der Kommentar sechs Minuten nachdem CNN die Nachricht veröffentlicht hat, dass die Gefahr einer russischen Invasion akut ist, die Botschaft geschlossen wird und die Diplomaten nach Westen verlegt werden.
14.02.2022, 20:26
++ Relevante Nachrichten ++
Normalerweise schaue ich nicht auf Nachrichten, da sie letztlich in den wichtigen Kreisen lange bekannt und eingepreist sind, bevor sie in der Öffentlichkeit ankommen.
Es gibt aber Ausnahmen, bei denen die Entscheidungen und Konsequenzen nicht vorher nach außen dringen. In einer solchen Situation sind wir derzeit und diese Nachricht erklärt letztlich das schwierige Verhalten des Marktes. Die Inflations- und und Zinsthematik war dazu eigentlich nicht ausreichend.
Der Ukraine-Konflikt ist soeben in die nächste Eskalationsstufe eingetreten. Laut CNN ziehen die USA ihre Diplomaten aus Kiev ab aufgrund der Gefahr einer russischen Invasion.
Nachdem heute Mittag Russland noch beruhigende Töne verlauten ließ, haben sich soeben die Truppenbewegungen verstärkt. Artillerie und Raketenstationen sind in die Feuerbereitschaft übergegangen (CBS). Es geht das Gerücht um, CNN habe verbreitet, morgen wäre der Tag des Angriffs.
Nachdem der Markt diese Neuigkeit verhältnismäßig ruhig aufnahm und in der Folge „nur“ gut ein Prozent fiel, folgte die Skizzierung der möglichen Szenarien:
14.02.2022, 20:34
++ Marktreaktion ++
Alles in allem nimmt der Markt die Neuigkeit sehr entspannt auf. Derzeit gibt es bereits eine heftige kurzfristige Gegenbewegung aufwärts, vielleicht auf News, dass der Angriff doch nicht so nah bevorsteht oder Teile der Nachrichten Falschmeldungen waren.
Aufgrund der massiven Kaufsignale der letzten Tage und Wochen und der genannten entspannten Reaktion sehe ich zwei Hauptszenarien:
1. Der Angriff findet nun nicht statt, die Eskalation geht zurück und diplomatische Schritte rücken in den Vordergrund. Dann fällt die Unsicherheit weg und der Markt steigt (endlich) über die Hochs der letzten Woche.
2. Russland startet tatsächlich einen Angriff. Dann wird hier noch einmal eine Panikreaktion mit einer großen roten Kerze kommen, die uns bis 1-2% unter die Tiefs von Januar trägt. Dort wird der Markt aller Wahrscheinlichkeit mit einem „Undercut“ der Tiefs einen Boden finden und extrem dynamisch nach oben laufen.
An diesem Punkt waren die Rahmenbedingungen eigentlich sehr schön abgesteckt. Solange der Kurs oberhalb der Tiefs vom 14.02. blieb, waren steigende Kurse zu erwarten. Als sie darunter fielen, spätestens im späten Handel vom 21.2. hätte eigentlich klar sein müssen, dass es zur Invasion kommt und wir den Undercut, wie er am Donnerstag eintrat, sehen werden. Ich betone eigentlich und hätte, denn auch ich habe so sehr nicht an diese Eskalation glauben wollen, dass ich eben nicht die entsprechende Konsequenz gezogen habe. Nichtsdestotrotz war die Möglichkeit dieses Absturzes einkalkuliert und somit nicht schwerwiegend im Portfolio.
Gestern trat dann der Undercut und die erwartete dynamische Gegenbewegung ein:
24.02.2022, 21:53
++ Ernstfall und die erwartete Konsequenz ++
Am 14.2. habe ich die beiden wahrscheinlichen Szenarien aufgezeigt. Steigende Kurse bei Deeskalation oder ein neues Tief ca. 1-2% tiefer und von dort eine dynamische Aufwärtsbewegung.
Ich habe diese Eskalationsstufe von Russland nicht erwartet und konnte es mir nicht vorstellen. Nichtsdestotrotz hat der Markt wie beschrieben reagiert.
Der S&P ist leicht tiefer gefallen und hat 2,2% unter dem vorherigen Tief einen Boden gefunden und von dort aufwärts gedreht.
Es liegen nun die Karten auf dem Tisch und die Reaktionen sind vorerst klar. Damit kann der Markt umgehen und wieder weiter in die Zukunft blicken. Sorgen kann nun noch eine Erweiterung des Krieges auf die NATO bereiten. Aber das ist eine Frage für die Zukunft und noch nicht akut ist.
Wollen wir hoffen, dass sie es auch nicht wird.
SO reagierte der Markt
Der Markt hat extrem stark geliefert, aber auch Gold zeigte eine beeindruckende Entwicklung. Nachdem der Preis in Reaktion auf den Angriff in der Spitze 3,5 % bis auf über 1970 USD stieg, legte er im Laufe des Tages analog zum Aktienmarkt eine Kehrtwende ein. Diese Korrektur sollte vorerst bis in den Bereich von 1830-1860 Punkten tragen. Dort verorte ich Kaufkurse für einen weiteren Anstieg. Die heftige Gegenreaktion hat aber leichte Fragezeichen am langfristigen Potential geweckt. 1790 und 1820 USD sind zwei Marken, unter denen ich den Goldpreis nicht mehr sehen möchte. Bei Bruch ist ein neues Setup nötig.
Value oder Growth?
Eine weitere sehr interessante Entwicklung zeigt das Verhältnis von Value vs. Growth, hier anhand der S&P 500 Pure Value und Pure Growth ETFs:
Schon in unserem letzten Artikel habe ich darauf hingewiesen, dass Value zu weit gelaufen ist und die Zeit gekommen ist, Growth zu favorisieren. Diese Aussage hat sich als verfrüht herausgestellt, analog zu der Markterwartung. Kein Wunder bei diesen geopolitischen Entwicklungen. Nun allerdings, parallel zur starken Erholung der Aktienmärkte, hat auch das Value:Growth Verhätlnis eine beeindruckende Wende hingelegt und das etwas überschiessende Verhalten der letzten Tage in einem Schlag negiert. Ein sehr deutliches Signal, dass die Outperformance von Value vorerst auf Sicht von Wochen ein Ende gefunden hat.
Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende,
Ihr Lars Wißler
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