Liebe Leserinnen und Leser,
1.100 Milliarden Dollar – so viel hat Amazon am Freitagabend in die 30-Minuten-Lieferung investiert. Zeitgleich katapultierte sich in Shanghai ein chinesischer GPU-Entwickler mit 425 Prozent Plus an die Börse. Und in Stuttgart? Dort jubeln Analysten über Mercedes-Benz, während die Aktie sich ihrem Jahreshoch nähert. Drei Geschichten, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben – und doch zeigen sie, wie unterschiedlich schnell sich Märkte gerade bewegen. Während Amazon mit Milliarden auf Tempo setzt, kämpft Mercedes noch immer mit den Nachwehen der Transformation. Und China? Das Land demonstriert eindrucksvoll, was passiert, wenn geopolitischer Druck auf Investorenhunger trifft.
Amazon jagt Instacart – mit 30 Minuten zum Ziel
Seattle und Philadelphia sind die Testlabore für Amazons neuesten Angriff auf den Lebensmittelmarkt. „Amazon Now“ heißt der Service, der Lebensmittel und Alltagsprodukte in 30 Minuten liefern soll – und damit direkt mit Instacart konkurriert. Prime-Mitglieder zahlen 3,99 Dollar pro Bestellung, bei Warenkörben unter 15 Dollar kommen noch einmal 1,99 Dollar obendrauf. Das klingt nach einer Kleinigkeit, ist aber ein Frontalangriff auf ein Geschäftsmodell, das bisher funktionierte.
Denn Instacart liefert bereits heute 75 Prozent seiner Bestellungen in unter 90 Minuten, 40 Prozent sogar in unter 60 Minuten. Rund ein Viertel der Priority-Bestellungen kommt in weniger als 30 Minuten beim Kunden an. Analysten von Bernstein sehen daher keinen „Step-Change“ in der Wettbewerbsdynamik – aber einen weiteren Belastungsfaktor für die ohnehin unter Druck stehende Instacart-Aktie. Amazons Vorteil liegt woanders: Das Unternehmen kann die Kosten durch sein Werbegeschäft quersubventionieren und profitiert von der Bündelung mit anderen Lieferdiensten. Kleine Fulfillment-Center in Wohngebieten und die Nutzung von Amazon Flex-Fahrern sollen die Logistik beschleunigen. Ob das Modell skaliert, ist offen – die Ökonomie von Minuten-Lieferungen ist brutal, die Margen schmal.
Für deutsche Anleger bleibt Amazon ein Beobachtungsposten: Die Aktie hat in diesem Jahr bereits deutlich zugelegt, doch der Wettbewerb im Lebensmittelbereich wird härter. Wer hier investiert, setzt auf die Fähigkeit des Konzerns, auch in engen Märkten Dominanz zu erzwingen.
Chinas GPU-Hoffnung hebt ab – doch die Euphorie täuscht
600,50 Yuan – bei diesem Kurs beendete Moore Threads am Freitag seinen ersten Handelstag an der Shanghaier Börse. Der Ausgabepreis lag bei 114,28 Yuan, der erste Kurs bei 556,00 Yuan. Ein Plus von 425 Prozent an einem einzigen Tag. Acht Milliarden Yuan (rund 1,13 Milliarden Dollar) sammelte das Unternehmen beim zweitgrößten Börsengang des Jahres auf dem chinesischen Festland ein. Die Investoren feiern Moore Threads als „Chinas NVIDIA“ – doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Euphorie auf wackligen Beinen steht.
Gegründet wurde Moore Threads 2020 von James Zhang, einem ehemaligen Vizepräsidenten und China-Chef von NVIDIA. Das Unternehmen entwickelt GPUs für KI-Anwendungen und Cloud-Computing – ein Markt, der in China durch die verschärften US-Exportbeschränkungen praktisch abgeschottet ist. NVIDIA darf seine modernsten Chips nicht mehr nach China liefern, was Moore Threads einen geschützten Heimatmarkt beschert. Die Regierung fördert das Unternehmen massiv, um die technologische Abhängigkeit von den USA zu beenden.
Doch die Fundamentaldaten sind ernüchternd: Moore Threads schreibt tiefrote Zahlen. Der Umsatz wächst zwar, doch die Verluste sind erheblich. Die Bewertung liegt weit über dem Marktdurchschnitt und basiert fast ausschließlich auf politischem Rückenwind und Zukunftshoffnungen. Für westliche Kleinanleger ist die Aktie ohnehin nicht zugänglich – sie wird ausschließlich in Shanghai gehandelt, es gibt keine ADRs für US- oder europäische Börsen.
Kann Moore Threads NVIDIA gefährlich werden? Auf dem chinesischen Markt definitiv – dort wird das Unternehmen durch die US-Sanktionen praktisch konkurrenzlos. Global gesehen ist die Leistungslücke zu NVIDIAs Spitzenchips jedoch noch gewaltig. Ob Moore Threads diese Lücke schließen kann, hängt davon ab, ob es gelingt, ein tragfähiges internationales Ökosystem aufzubauen. Kurzfristig ist das unwahrscheinlich – langfristig könnte China jedoch einen eigenen GPU-Champion etablieren, der zumindest regional eine Rolle spielt.
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Mercedes-Benz: Bank of America dreht bei – doch die Hürden bleiben
Die Bank of America hat ihre Einschätzung zu Mercedes-Benz gedreht. Von „Underperform“ auf „Neutral“ lautet das neue Rating, das Kursziel wurde von 50 auf rund 63 Euro angehoben. Die Analysten argumentieren, dass die größten Belastungen für den Stuttgarter Autobauer vorerst abgearbeitet seien. Der freundlichere Ausblick für die europäische Autoindustrie im kommenden Jahr, Lockerungen der Emissionsvorgaben unter der Trump-Administration und das strikte Kostensenkungsprogramm bis 2027 stützen diese Einschätzung.
Die Aktie reagierte am Freitag mit einem Plus – doch ob das reicht, um eine echte Jahresendrally auszulösen, bleibt offen. Seit Jahresstart liegt Mercedes-Benz zwar im Plus, doch verglichen mit dem DAX hinkt der Autobauer hinterher. Das 52-Wochen-Hoch bei 63,17 Euro ist in Reichweite, doch die operativen Herausforderungen bleiben: Ein schwächeres Absatzumfeld, mögliche Zölle sowie Kosten für Restrukturierung und Stellenabbau belasten weiterhin. Die zyklische Natur der Branche macht Prognosen schwierig.
Für deutsche Anleger ist Mercedes-Benz ein klassisches Turnaround-Investment: Wer auf eine Erholung der europäischen Autoindustrie setzt und glaubt, dass die Kostensenkungen greifen, kann hier einsteigen. Wer jedoch kurzfristige Gewinne erwartet, sollte vorsichtig sein – die Unsicherheiten sind noch zu groß.
Was diese Woche noch kommt
Am Dienstag öffnet GameStop die Bücher und legt die Zahlen für das dritte Quartal des Geschäftsjahres 2025 vor. Einen Tag später, am Mittwoch, folgt Oracle mit den Ergebnissen für das zweite Quartal des Geschäftsjahres 2026. Am Donnerstag wird es dann besonders spannend: Broadcom präsentiert die Zahlen für das vierte Quartal und das Gesamtjahr 2025. Analysten von Morgan Stanley haben das Kursziel zuletzt auf 443 Dollar angehoben und sehen steigende Nachfrage nach TPUs von Google – ein Signal, das die gesamte Halbleiterbranche aufhorchen lässt.
Die Märkte bewegen sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Amazon setzt auf Tempo, China auf politischen Druck, Mercedes-Benz auf Geduld. Welche Strategie aufgeht, werden die kommenden Monate zeigen.
Einen erfolgreichen Start in die Woche wünscht Ihnen
Andreas Sommer


