Seit einiger Zeit kommt es weltweit zu einem Phänomen, welches seit Jahrzehnten kaum noch praktische Relevanz hatte. Immer mehr Medien werfen die Frage auf, was mögliche Strafzölle und damit protektionistische Tendenzen für die Wirtschaft und damit auch für die Börse bedeuten könnten. Die Auswirkungen von Strafzöllen und Protektionismus sind Thema dieses Artikels. Dabei geht es hier vor allem um die Auswirkungen auf die Börse.
Natürlich sind Diskussionen über Strafzölle emotionsgeladen. Allerdings hilft ein solcher Ansatz uns Börsianern nicht weiter. Wir müssen die möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Wirtschaft und damit auch auf die Börse kennen, um unsere Anlagestrategie darauf auszurichten.
Allerdings gibt es eine Schwierigkeit auf dem Weg zur Beurteilung der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Immerhin muss man die Auswirkungen eines Trends zur Globalisierung kennen und verstehen, um eine mögliche Abkehr von dieser Tendenz hin zum Protektionismus zu erkennen. Um dieses zu verdeutlichen, beginnen wir etwas kleiner. Zum Start schauen wir auf die Entwicklung einer Großstadt.
Großstädte mit Wachstumsbonus
Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte in Höhe und Ausprägung ist alles andere als Zufall. Auf der einen Seite schafften viele Verwirklichungen und Erfindungen die Rahmendaten für schnelle und automatisierte Produktionsprozesse. Doch auf der anderen Seite gibt es einen Trend, der in der Wachstumsdebatte oftmals ignoriert wird – die Urbanisierung.
Großstädte haben tatsächlich einen Wachstumsbonus. Je größer eine Stadt wird, desto größer wird im Schnitt auch das Wirtschaftswachstum und die Einkommen innerhalb der Stadtmauern. Im Handelsblatt gab es dazu vor Jahren einen passenden Artikel.
Dieser Effekt ist allerdings überproportional und übersteigt damit den prozentualen Zuwachs der Bevölkerung. Rein wirtschaftlich betrachtet, ist die Urbanisierung in den letzten Jahrzehnten ein Segen für die Konjunktur gewesen. Und auch in den nächsten Jahren sollte dies noch ein Wachstumstreiber bleiben. Doch was hat das mit der Globalisierung zu tun?
Globalisierung und der komparative Kostenvorteil
Eine der wichtigsten Ideen hinter der Verflechtung der Nationen ist der komparative Vorteil. Diese Idee geht auf David Ricardo zurück und beschreibt einen Zustand, in dem auch schwächere und unproduktivere Länder Vorteile durch den Handel mit produktiven Ländern genießen können. Die Kernbotschaft dieser Lehre ist, dass es nicht auf die absoluten sondern auf die relativen Kosten ankommt. Sollte diese Botschaft verwirrend auf Sie wirken, dann sind Sie in sehr guter Gesellschaft. Immerhin erschließt sich der komparative Kostenvorteil nicht intuitiv.
Beispiel für den komparativen Vorteil
Stellen Sie sich vor, dass es mal wieder geschneit hat. Aus den Erfahrungen der letzten Jahre wissen Sie, dass Sie für das Schneeschieben 5 Stunden Zeit benötigen. Ihr Nachbar dagegen hat eine Schneefräse und schafft die gleiche Fläche in nur 2 Stunde. Nun bleibt die Frage, ob Sie Ihren Nachbarn bewegen könnten den Schnee für Sie zu schieben. Also bieten Sie ihm an, seine Steuererklärung für Ihn zu erledigen. Dafür benötigen Sie ca. 4 Stunden. Ihr Nachbar erklärt Ihnen allerdings, dass er diese Aufgabe in nur 3 Stunden schafft.
Unter diesen Umständen ist Ihnen der Nachbar in seiner Produktivität deutlich überlegen. Jede Tätigkeit schafft er in weniger Zeit. Warum sollte er mit Ihnen zusammenarbeiten?
Genau an dieser Stelle nun kommt der komparative Vorteil zum Vorschein. Während Sie für die Beseitigung des Schnees und Ihre Steuererklärung insgesamt 9 Stunden brauchen, benötigt Ihr Nachbar nur 5 Stunden für beides. Trotz dieses Umstandes ist eine Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden ein Gewinn für beide Seiten. Nehmen wir dafür an, dass Sie die Steuererklärung trotzdem für Ihren Nachbarn mitmachen. Sie brauchen dann für beide Erklärungen zusammen 8 Stunden. Eine Zeitersparnis von einer Stunde, die Sie nun für andere Dinge nutzen können. Ihr Nachbar wiederum schiebt auf beiden Grundstücken den Schnee weg und ist nach 4 Stunden fertig. Auch Ihr Nachbar spart so eine Stunde Zeit ein.
ohne komparativen Vorteil | ||
Sie | Nachbar | |
Schneeschieben | 5 Stunden | 2 Stunden |
Steuererklärung | 4 Stunden | 3 Stunden |
Zeit gesamt | 9 Stunden | 5 Stunden |
mit komparativen Vorteil | ||
Sie | Nachbar | |
Schneeschieben | 4 Stunden | |
Steuererklärung | 8 Stunden | |
Zeit gesamt | 8 Stunden | 4 Stunden |
Fazit des Beispiels
Eine Zusammenarbeit unter Nachbarn kann sinnvoll sein, selbst wenn der eine Nachbar deutlich produktiver ist als der andere. Wenn Sie zusammenarbeiten, gelingt es Ihnen beiden, Zeit einzusparen.
Ist die Globalisierung vorteilhaft?
Sie kennen nun einen der bedeutendsten Vorteile, den die Globalisierung mit sich brachte. Denn genau diese Zusammenarbeit unter den Staaten war ein Hauptgrund des Wachstums. Die Globalisierung wirkte wie eine Großstadt, die immer weiter wächst. Die abgestimmte Zusammenarbeit verschiedener Nationen in der Produktion der Güter sorgte in der Tat für ein zusätzliches Wirtschaftswachstum. Länder nutzen ihre Spezialisierung aus, um für den Rest der Welt Waren zu produzieren, bei denen Sie einen Vorteil genießen konnten. Warum ist der Trend zum Protektionismus nun so gefährlich?
Wachstumseffekt durch Städtewachstum und Globalisierung
Um die große Gefahr auf unsere Weltwirtschaft zu verstehen, begeben wir uns gedanklich nochmals an den Anfang dieses Artikels. In diesem beschrieb ich bereits den überproportionalen Wachstumseffekt auf Wirtschaft und Einkommen. Natürlich lässt sich eine Großstadt nicht einfach teilen, aber nehmen wir an, es wäre möglich. Wir würden aus einer Großstadt mit einer Millionen Einwohner einfach zwei Städte an unterschiedlichen Orten schaffen, die jeweils 500.000 Einwohner hätten.
Dieser Schritt würde nicht etwa dafür sorgen, dass wir das BIP (Bruttoinlandsprodukt) zu jeweils 50 % aufteilen. Nein, es würde zu einem deutlichen Abfall der Wirtschaftsleistung führen, da der überproportionale Gewinn des Bevölkerungswachstums verloren gehen würde.
Dieser Effekt ist auch bei einem Ende der Globalisierung zu erwarten. Strafzölle und andere protektionistische Maßnahmen würden selbst dann einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft haben, wenn die Nachfrage der Bevölkerung stabil bliebe. Und selbst die stabile Nachfrage darf durchaus bestritten werden. Denn der psychologische Effekt solcher Alleingänge auf die Welt kann gar nicht überschätzt werden. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die schwierigste Phase eines wirtschaftlichen Zyklus Depression heißt.
Strafzölle und Protektionismus sind Gift für die Börse
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Die Globalisierung hat neben den Vorteilen für Wohlstand und Vermögen auch sehr heftige Nebenwirkungen, die mit Sicherheit hinterfragt werden sollten. Allerdings sind diese nicht Thema dieses Beitrags. In diesem Beitrag geht es um einen Einblick auf die zukünftige Entwicklung von Vermögensanlagen. Und gerade die Anlage in Aktien lebt von der Wachstumsfantasie.
Aktionäre wollen die Zukunft positiv sehen. Wenn Sie die zukünftigen Entwicklungen als kritisch beurteilen, stellt sich früher oder später die Bewertungsfrage ihrer Aktienanlagen. Diese relative Bewertung ist bereits jetzt sportlich. Die Hintergründe der Aktienmarktbewertung erfahren Sie in dem Artikel zum Shiller KGV.
Von daher muss man sicherlich kein Professor an einer Universität sein, um beurteilen zu können, dass die Tendenz zum Protektionismus früher oder später einen Belastungsfaktor darstellt.
Damit verdunkeln sich die langfristigen Aussichten für die Aktienmärkte mit jeder neuen Runde von protektionistischen Maßnahmen weiter. Strafzölle eines einzelnen Landes (selbst wenn es die USA sind) vermögen die gute Stimmung wohl nicht zu kippen. Allerdings stellt jede nationale und internationale Antwort auf diese Maßnahmen ein weiteres Puzzleteil auf dem Weg zu einer echten Belastung der Märkte dar.
Für Aktionäre sind diese Entwicklungen daher keine guten Nachrichten. Allerdings ist die Zeit schnelllebiger als jemals zuvor. Wer weiß. welches Thema uns in ein paar Wochen bewegen wird.