Die globalen Finanzmärkte stehen unter Hochspannung. Eine aggressive US-Handelspolitik und die daraus resultierende dramatische Dollar-Schwäche lösen eine Kettenreaktion aus, die Volkswirtschaften weltweit erschüttert. Die einstige Weltleitwährung ist auf ein Dreijahrestief gefallen, was rund um den Globus für unvorhergesehene Währungsverschiebungen sorgt und Zentralbanken zum Handeln zwingt. Von London bis Tokio müssen sich Nationen auf eine neue Realität einstellen, in der Kapitalströme umgelenkt und traditionelle Wirtschaftsbeziehungen fundamental in Frage gestellt werden. Doch was sind die genauen Ursachen dieser Verwerfungen und welche Dominosteine könnten als Nächstes fallen?
US-Handelspolitik als Brandbeschleuniger
Die jüngsten Turbulenzen haben einen klaren Ausgangspunkt: die Handelspolitik der Vereinigten Staaten. Im März und Anfang April dieses Jahres verhängte die US-Regierung unter Präsident Donald Trump neue Zölle, darunter Abgaben von 25% auf Stahl und Aluminium sowie 27,5% auf Autos aus Großbritannien, ergänzt durch einen Pauschalzoll von 10% auf andere britische Waren. Die Auswirkungen ließen nicht lange auf sich warten. Britische Warenexporte in die USA erlitten im April einen Rekordeinbruch von 33% im Vergleich zum Vormonat und fielen auf den niedrigsten Stand seit Februar 2022. Dieser drastische Rückgang trug maßgeblich zu einem unerwartet starken Schrumpfen des britischen Bruttoinlandsprodukts im April bei und weitete das Handelsdefizit des Landes massiv aus. Laut dem britischen Statistikamt ONS exportierte Großbritannien im April Waren im Wert von nur noch 4,1 Milliarden Pfund in die USA, verglichen mit 6,1 Milliarden Pfund im März. Auch wenn ein Teil dieses Rückgangs auf vorgezogene Lieferungen im März zurückgeführt wird, um den Zöllen zu entgehen, lagen die Exporte im April immer noch 15% unter dem Vorjahresniveau.
Dieser protektionistische Kurs Washingtons, der im April mit dem sogenannten "Liberation Day" von Präsident Trump einen weiteren symbolischen Höhepunkt erreichte, wird von vielen Marktteilnehmern als Startschuss für eine massive Kapitalumschichtung gesehen – weg vom Dollar, hin zu anderen Wirtschaftsräumen. Die Verunsicherung über die Stabilität der US-Handelsbeziehungen hat die Attraktivität amerikanischer Anlagen geschmälert.
Die globale Flucht aus dem Dollar
Die Konsequenz ist eine ausgeprägte Dollar-Schwäche. Gegenüber einem Korb wichtiger Währungen hat der Greenback in diesem Jahr bereits fast 10% an Wert verloren und notiert auf dem tiefsten Stand seit drei Jahren. "Es gibt eindeutig solide Dollar-Verkäufe", kommentiert Kit Juckes, Chef-Devisenstratege bei Société Générale. Diese Entwicklung wird zusätzlich durch die Erwartung befeuert, dass die US-Notenbank Federal Reserve angesichts der handelspolitischen Unsicherheiten und möglicher Konjunkturschwächen gezwungen sein könnte, die Zinsen zu senken. Solche Erwartungen verstärken die Kapitalabflüsse aus der weltgrößten Volkswirtschaft.
Europa im Strudel der Währungsverschiebungen
Die Abwertung des Dollars hat in Europa zu signifikanten Währungsaufwertungen geführt. Der Euro kletterte auf rund 1,1572 Dollar und erreichte damit den höchsten Stand seit 2021. Auch der Schweizer Franken profitierte von seinem Ruf als sicherer Hafen und legte deutlich zu. Doch diese Stärke hat ihren Preis. In der Schweiz fielen die Verbraucherpreise im Mai erstmals seit über vier Jahren, was den Druck auf die Schweizerische Nationalbank (SNB) erhöht, die Zinsen wieder unter null zu senken, um einer Deflation entgegenzuwirken.
Die Europäische Zentralbank (EZB) beobachtet die Euro-Stärke ebenfalls genau. EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel äußerte sich kürzlich jedoch relativ gelassen. Die Geldpolitik der EZB befinde sich an einem "guten Punkt". Auch wenn die Inflation in der Eurozone kurzfristig unter die Zielmarke von 2% fallen dürfte – die EZB prognostiziert für 2026 1,6% –, sei dies primär auf Basiseffekte bei Energiepreisen und den stärkeren Euro zurückzuführen. Mittelfristig werde die Inflation wieder auf 2% zurückkehren, so Schnabel. Die Kerninflation bewege sich ohnehin kaum von 2% weg, und die Inflationserwartungen von Konsumenten und Unternehmen lägen sogar darüber. Die EZB hatte zuletzt am 5. Juni die Zinsen zum achten Mal im vergangenen Jahr gesenkt und den Einlagensatz auf 2% festgelegt. Einige Investoren erwarten jedoch noch eine weitere Senkung auf 1,75% bis Jahresende.
Das britische Pfund konnte zwar ebenfalls gegenüber dem Dollar zulegen und erreichte zwischenzeitlich ein Dreijahreshoch, doch schwächere Wirtschaftsdaten und die Aussicht auf Zinssenkungen durch die Bank of England (BoE) haben die Rally zuletzt gedeckelt. Die BoE dürfte auf ihrer aktuellen Juni-Sitzung den Leitzins bei 4,25% belassen, wobei laut Bank of America zwei Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses für eine Senkung um 25 Basispunkte stimmen könnten. Marktbeobachter sehen erhebliche Risiken für das Pfund, insbesondere im Vorfeld der Zoll-Deadline am 9. Juli.
Asien: Profiteure und der chinesische Sonderweg
Die Dollar-Schwäche hat erhebliche Kapitalströme in Richtung Asien ausgelöst. Jahrelang parkten asiatische Investoren Billionen in US-Staatsanleihen; nun fließt dieses Kapital zurück in die Fertigungszentren der Welt. Der Taiwan-Dollar beispielsweise schoss im Mai an zwei Tagen um 10% in die Höhe und liegt seit Jahresbeginn fast 12% im Plus. Der koreanische Won hat rund 10% zugelegt. Auch der Singapur-Dollar, der malaysische Ringgit und der thailändische Baht verzeichnen Gewinne von etwa 6%.
Eine Ausnahme bildet der chinesische Yuan, der trotz der US-Zölle auf chinesische Waren nur um etwa 2% aufgewertet hat, gebremst durch Interventionen der chinesischen Zentralbank. Obwohl China im jüngsten Bericht des US-Finanzministeriums nicht als Währungsmanipulator eingestuft wurde, dürfte die verhaltene Yuan-Aufwertung in Washington genau beobachtet werden. Zusätzlichen Druck auf die chinesische Wirtschaft übt der heimische Immobilienmarkt aus. Eine aktuelle Umfrage von UBS zeigt eine nachlassende Kaufabsicht, insbesondere in kleineren Städten. 42% der Befragten erwarten weitere Preisrückgänge bei Immobilien, was den privaten Konsum belasten könnte.
Eine positive Entwicklung kommt hingegen aus Indien: Dort hat sich die jährliche Einzelhandelsinflation im Mai auf 2,82% verlangsamt (April: 3,16%), hauptsächlich aufgrund moderaterer Lebensmittelpreise. Dies liegt unter den Erwartungen von Ökonomen.
Lateinamerika: Extreme Gegensätze im Währungsspiel
In Lateinamerika zeigt sich ein gespaltenes Bild. Der argentinische Peso gehört mit einem Minus von rund 15% gegenüber dem Dollar zu den schwächsten Währungen des Jahres, was jedoch primär auf innenpolitische Gründe und die Einführung eines neuen Wechselkursregimes zurückzuführen ist.
Im Gegensatz dazu hat sich der mexikanische Peso, der zu Jahresbeginn stark unter dem Druck der US-Handelspolitik stand, erstaunlich gut erholt und notiert nahe seiner stärksten Niveaus seit August. Diese relative Stärke gibt der mexikanischen Zentralbank Banxico mehr Spielraum für Zinssenkungen. UBS prognostiziert, dass Banxico die Zinsen aggressiver senken wird als vom Markt erwartet – möglicherweise auf 7,0% bis Ende dieses Jahres und einen Zielsatz von 6,5% im Jahr 2026. Als Begründung führen die Analysten die schwachen Wirtschaftsaussichten Mexikos an, insbesondere bei der Binnennachfrage.
Zentralbanken im Krisenmodus: Ausblick auf die neue Geldpolitik
Die durch die US-Handelspolitik ausgelöste Dollar-Schwäche zwingt Zentralbanken weltweit zu einer Neubewertung ihrer Strategien. Während die SNB gegen einen zu starken Franken kämpft und die BoE möglicherweise die Zinsen senkt, um die britische Wirtschaft zu stützen, zeigt sich die EZB noch vergleichsweise entspannt, behält die Euro-Stärke aber im Auge. In Schwellenländern wie Mexiko könnte Währungsstärke paradoxerweise zu aggressiveren Zinssenkungen führen, um die heimische Konjunktur anzukurbeln.
Die kommenden Monate versprechen weiterhin hohe Volatilität an den Devisenmärkten. Die Weltwirtschaft steht vor der Herausforderung, sich an eine neue Ordnung anzupassen, in der die Dominanz des US-Dollars erodiert und Handelskonflikte die globalen Kapitalströme neu definieren. Die Entscheidungen der großen Zentralbanken werden dabei richtungsweisend sein, doch die Unsicherheit über den weiteren Kurs der US-Regierung bleibt ein schwer kalkulierbarer Faktor. Anleger müssen sich auf eine längere Phase der Instabilität einstellen, in der traditionelle Korrelationen nicht mehr gelten und neue Risiken und Chancen entstehen.