EZB hält Zinsen stabil – Wirtschaft trotzt

Die Europäische Zentralbank stellt die Leitzinsen nicht weiter ein, da die Wirtschaft wider Erwarten robust bleibt und die Inflation nahe dem Zielwert liegt. Experten erwarten nun eine längere Pause.

EZB hält Zinsen stabil – Wirtschaft trotzt
Kurz & knapp:
  • Überraschend robuste Konjunktur im Euroraum
  • Inflation stabil bei rund zwei Prozent
  • Markt spekuliert über mögliche Zinserhöhungen
  • EZB revidiert Wachstumsprognosen nach oben

Die Europäische Zentralbank steht vor einer Richtungsentscheidung: Während die Konjunktur im Euroraum überraschend robust bleibt und die Inflation hartnäckig um die Zwei-Prozent-Marke kreist, erwarten Marktteilnehmer am Donnerstag keine weiteren Zinssenkungen. Die Phase des geldpolitischen Lockerns könnte damit vorerst beendet sein – auch wenn die EZB diesen Schritt nicht explizit kommunizieren dürfte.

Wirtschaftsdaten übertreffen Erwartungen

Die jüngsten Wachstumszahlen für die 20 Länder der Währungsunion haben die Prognosen der EZB deutlich übertroffen. Exporteure navigieren geschickter durch die US-Handelshürden als zunächst befürchtet, während die deutschen Konsumausgaben die Schwäche der Industrie abfedern. „Der Nebel der wirtschaftlichen Unsicherheit hat sich etwas gelichtet, besonders beim Thema Handel“, erklärt Lorenzo Codogno von LC Macro Advisors. Diese Entwicklung dürfte dem EZB-Rat größeres Vertrauen geben, dass die Geldpolitik am richtigen Punkt angekommen ist.

Die Inflation bewegt sich stabil um das Zwei-Prozent-Ziel, getrieben vor allem durch Preiserhöhungen im Dienstleistungssektor. Ökonomen erwarten nun, dass die EZB ihre Wachstums- und Inflationsprognosen am Donnerstag nach oben revidiert. Die aktuellen Projektionen sehen ein BIP-Wachstum von 1,2 Prozent für dieses Jahr, 1,0 Prozent für 2026 und 1,3 Prozent für 2027 vor – Zahlen, die angesichts der positiven Datenlage überholt wirken.

Zwischen Pause und Zinserhöhung

Besonders bemerkenswert: Einige Marktteilnehmer wetten inzwischen sogar auf eine Zinserhöhung. EZB-Präsidentin Christine Lagarde könnte in ihrer Pressekonferenz direkt mit dieser Frage konfrontiert werden. Doch Experten halten diese Debatte für verfrüht. „Ich erwarte, dass sie eine Diskussion darüber vermeiden wird, ob der nächste Schritt eine Erhöhung oder Senkung sein wird“, prognostiziert Isabelle Mateos y Lago, Chefökonomin bei BNP Paribas. „Die Realität ist: Die Hürde für eine Bewegung in beide Richtungen dürfte in den nächsten Sitzungen ziemlich hoch liegen.“

Aussagen von EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel, Chefvolkswirt Philip Lane und Lagarde selbst haben die Spekulationen über eine mögliche Zinsanhebung Ende nächsten Jahres befeuert. Die meisten Ökonomen in einer Reuters-Umfrage erwarten jedoch, dass die Zinsen während 2026 und 2027 unverändert bleiben – wobei die Prognosebandbreite für 2027 mit 1,5 bis 2,5 Prozent erheblich ist.

Strukturelle Herausforderungen bleiben

Die EZB kann kaum umhin, anzuerkennen, dass die Eurozone mittlerweile nahe ihrem Potenzialwachstum von etwa 1,4 Prozent pro Jahr expandiert. Die Stimmung erholt sich, die Industrieproduktion zeigt Anzeichen einer Bodenbildung. Ökonomen rechnen damit, dass sich das Wachstum ins kommende Jahr fortsetzt, gestützt durch geplante deutsche Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur sowie einen relativ robusten Arbeitsmarkt, auf dem Beschäftigte endlich beim pandemiebedingten Preisanstieg aufholen konnten.

„Ein stabiler Arbeitsmarkt, ein wachsender Dienstleistungssektor und der deutsche Fiskalimpuls werden der Eurozone in den kommenden Monaten Rückenwind geben“, sagt Felix Schmidt, Senior-Ökonom bei Berenberg. Lagarde selbst hat angekündigt, dass die EZB ihre Wachstumsprognosen anheben wird. Auch die Kerninflationserwartungen für 2026-27 dürften leicht nach oben korrigiert werden.

Währungsdynamik als Wettbewerbsfaktor

Besonders aufschlussreich sind diese Projektionen, weil sie den Effekt einer Verzögerung beim EU-Emissionshandelssystem herausrechnen. Diese technische Verschiebung würde die Gesamtinflation 2026-27 mechanisch senken und 2028 wieder anheben. Unter den inflationsdämpfenden Faktoren spielt die Stärke des Euro gegenüber dem chinesischen Renminbi eine zunehmende Rolle – sie macht es der Eurozone noch schwerer, mit China zu konkurrieren.

„Wenn man sich die Handelsbilanz Europas anschaut, scheint das Wettbewerbsproblem gegenüber China viel ausgeprägter als gegenüber den USA“, erklärt Mateos y Lago. „Der Wechselkurs, den ich im Auge behalte, ist nicht Dollar-Euro, sondern Euro-Renminbi.“ Auch die Entwicklung gegenüber dem US-Dollar könnte sich verschärfen, sollte die Federal Reserve unter neuer Führung die Zinsen rascher senken.

Politische Unsicherheiten weltweit

Während die EZB sich auf ihre Sitzung vorbereitet, herrscht an anderen Fronten Bewegung: Die Bank of England dürfte nach unerwartet stark gefallenen britischen Inflationsdaten ihre Zinsen senken, das Pfund Sterling verzeichnete bereits den größten Tagesrückgang seit Monaten. Die Bank of Japan steht vor einer Zinserhöhung auf ein Drei-Jahrzehnte-Hoch, während in den USA die Diskussion über Jerome Powells Nachfolge an der Fed-Spitze an Fahrt aufnimmt.

Besonders bemerkenswert: Spekulationen kreisen um drei Kandidaten – Kevin Hassett, Kevin Warsh und den aktuellen Fed-Gouverneur Christopher Waller. Während US-Präsident Donald Trump und Finanzminister Scott Bessent versichern, der erfolgreiche Kandidat werde unter keinem politischen Druck stehen, bleiben Investoren skeptisch. Trump, der Zinsen „bei einem Prozent oder vielleicht niedriger“ sehen will, hat angekündigt, bei geldpolitischen Entscheidungen konsultiert werden zu wollen. Die Frage der Unabhängigkeit wird damit zum zentralen Thema.

Für die EZB bedeutet diese globale Gemengelage: Sie muss nicht nur die eigene Wirtschaftsentwicklung im Blick behalten, sondern auch die internationalen Verflechtungen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob die aktuelle Stabilität nachhaltig ist – oder ob neue Herausforderungen eine Kurskorrektur erzwingen.

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Mit über fünfzehn Jahren Erfahrung als Wirtschaftsjournalist hat sich Felix Baarz als Experte für internationale Finanzmärkte etabliert. Seine Leidenschaft gilt den Mechanismen globaler Finanzmärkte und komplexen wirtschaftspolitischen Zusammenhängen, die er für seine Leserschaft verständlich aufbereitet.In Köln geboren und aufgewachsen, entdeckte er früh sein Interesse für Wirtschaftsthemen und internationale Entwicklungen. Nach seinem Studium startete er als Wirtschaftsredakteur bei einer renommierten deutschen Fachpublikation, bevor ihn sein Weg ins Ausland führte.Ein prägendes Kapitel seiner Karriere waren die sechs Jahre in New York, wo er direkten Einblick in die globale Finanzwelt erhielt. Die Berichterstattung von der Wall Street und über weltweite wirtschaftspolitische Entscheidungen schärfte seinen Blick für globale Zusammenhänge.Heute ist Felix Baarz als freier Journalist für führende Wirtschafts- und Finanzmedien im deutschsprachigen Raum tätig. Seine Arbeit zeichnet sich durch fundierte Recherchen und präzise Analysen aus. Er möchte nicht nur Fakten präsentieren, sondern auch deren Bedeutung erklären und seinen Lesern Orientierung bieten – sei es zu wirtschaftlichen Trends, politischen Entscheidungen oder langfristigen Veränderungen in der Finanzwelt.Zusätzlich moderiert er Diskussionen und nimmt an Expertenrunden teil, um sein Wissen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dabei liegt sein Fokus darauf, komplexe Themen informativ und inspirierend zu vermitteln. Felix Baarz versteht seine journalistische Aufgabe darin, in einer sich schnell wandelnden Welt einen klaren Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu ermöglichen und seine Leser bei fundierten Entscheidungen zu unterstützen – beruflich wie privat.