Die Europäische Zentralbank hat am Donnerstag ihre Zinssätze unverändert bei 2,0 Prozent belassen und damit nach einem Jahr intensiver Geldpolitiklockerung eine Atempause eingelegt. Die Entscheidung erfolgt in einem Umfeld außergewöhnlicher Unsicherheit, geprägt von den laufenden Handelsverhandlungen zwischen der EU und den USA unter Donald Trump.
Handelsunsicherheit bestimmt geldpolitischen Kurs
Die EZB-Führung um Präsidentin Christine Lagarde machte deutlich, dass die anhaltenden Handelsdispute mit Washington maßgeblich für die Zinspause verantwortlich sind. "Das Umfeld bleibt außergewöhnlich unsicher, insbesondere aufgrund von Handelskonflikten", erklärte die Notenbank in ihrer offiziellen Stellungnahme.
Hinter den Kulissen deuten EU-Diplomaten an, dass sich Brüssel und Washington einem Abkommen nähern, das einen pauschalen Zoll von 15 Prozent auf EU-Waren vorsehen könnte. Dies wäre deutlich moderater als die von Trump angedrohten 30 Prozent, läge aber noch über dem EZB-Basisszenario von 10 Prozent. Berenberg-Ökonom Holger Schmieding sieht darin einen positiven Impuls: "Falls die beiden Seiten tatsächlich einen solchen Deal abschließen, würde dies unsere Einschätzung stützen, dass die Eurozone ab dem vierten Quartal wieder Schwung gewinnen kann."
Märkte setzen auf weitere Lockerung
Trotz der Zinspause preisen die Finanzmärkte weiterhin mindestens eine weitere Zinssenkung bis Jahresende ein, wahrscheinlich bis März. Der Grund: Die Inflation könnte in den kommenden 18 Monaten unter das Zwei-Prozent-Ziel fallen, selbst im günstigsten Handelsszenario.
MUFG-Ökonom Henry Cook warnt: "Selbst bei einem milden Ausgang mit US-Zöllen um die 10 Prozent sehen wir noch Spielraum für weitere Lockerungen, da sich der Desinflationsprozess verbreitert." Diese Einschätzung wird durch die Tatsache gestützt, dass der Euro zeitweise auf den höchsten Stand seit September 2021 geklettert war, was die europäischen Exporte schwächt.
Widersprüchliche Signale aus der Wirtschaft
Die europäische Wirtschaft zeigt ein gemischtes Bild. Einerseits hat sich die Eurozone trotz der herausfordernden globalen Lage als widerstandsfähig erwiesen. Jüngste PMI-Daten deuten darauf hin, dass die Region das Handelschaos bisher gut übersteht. Andererseits berichten Unternehmen bereits erste negative Auswirkungen von Zöllen auf ihre Gewinne.
Ein besonders markanter Kontrast zeigt sich im Bausektor: Während die USA eine leichte Stabilisierung mit nur noch 0,1 Prozent Rückgang bei den Baugenehmigungen verzeichnen, springt Irland mit einem überraschenden Plus von 35 Prozent bei Neubauten im zweiten Quartal hervor. Diese 9.214 neuen Wohnungen markieren den stärksten Jahresauftakt seit der Immobilienkrise 2008.
Ausblick: Flexibilität als oberste Maxime
Die EZB betont ihre Bereitschaft, "datenabhängig und von Sitzung zu Sitzung" zu entscheiden. Deutsche Bank-Ökonom Mark Wall sieht darin eine bewusste Strategie: "Die große Frage ist: Wird dies eine kurze oder eine lange Pause? Und könnte diese Pause dazu führen, dass 2 Prozent letztendlich der finale Satz in diesem Lockerungszyklus werden?"
BCA Research-Stratege Mathieu Savary warnt jedoch vor den Risiken: "Diese Pause ist nicht das Ende der Geschichte. Mit einem stärkeren Euro, drohenden US-Zöllen und verschärfter chinesischer Konkurrenz steht die Region vor einer neuen Bedrohung: Deflation."
Die Märkte werden nun gespannt auf Lagardes Pressekonferenz blicken, in der sie voraussichtlich Fragen zu künftigen Zinssenkungen, der Euro-Stärke und den Zollauswirkungen beantworten muss. Eines ist klar: Die EZB navigiert in ungewöhnlich turbulenten Gewässern und behält sich alle Optionen vor.