Die Europäische Zentralbank steht vor einem Dilemma: Während die europäischen Dienstleistungssektoren erste Erholungszeichen zeigen, verschärft sich der Inflationsdruck ausgerechnet in der wichtigsten Branche der Eurozone. Die jüngsten Daten zeichnen ein komplexes Bild einer Wirtschaft im Wandel – und stellen die EZB vor schwierige Entscheidungen.
Unterschiedliche Geschwindigkeiten in Europa
Die Eurozone präsentiert sich als Flickenteppich verschiedener Entwicklungen. Während der europäische Dienstleistungssektor im Juni erstmals seit Mai wieder minimal gewachsen ist – der PMI stieg auf 50,5 Punkte –, zeigen sich die nationalen Unterschiede deutlich. Deutschland stabilisiert sich mit einem Anstieg auf 49,7 Punkte, bleibt aber unter der Wachstumsschwelle. Frankreich kämpft bereits den zehnten Monat in Folge mit schrumpfendem Dienstleistungssektor, während Italien trotz Wachstum an Tempo verliert.
Besonders bemerkenswert ist die Entwicklung in Großbritannien außerhalb der Eurozone: Hier explodiert der Dienstleistungssektor förmlich und erreicht mit einem PMI von 52,8 das stärkste Wachstum seit August 2024. Gleichzeitig sinken die Preise britischer Dienstleister auf den niedrigsten Stand seit 2021 – ein Luxus, den sich die EZB derzeit nicht leisten kann.
Preisdruck als Damoklesschwert
Ausgerechnet im Dienstleistungssektor, der traditionell als Inflationstreiber gilt, verschärft sich die Lage. Die Preise für Dienstleistungen in der Eurozone stiegen im Juni mit der höchsten Rate seit drei Monaten, während gleichzeitig die Inputkosten auf einem Sieben-Monats-Tief verharren. Diese Schere zwischen sinkenden Kosten und steigenden Preisen deutet auf robuste Nachfrage hin – oder auf Unternehmen, die ihre Margen verteidigen.
"Die EZB dürfte nicht völlig glücklich sein, dass die Verkaufspreise im Dienstleistungssektor im Juni stärker gestiegen sind", warnt Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank. Diese Entwicklung könnte die Inflationsausrichtung der EZB trotz der jüngsten Zinssenkungen verkomplizieren.
Globale Unsicherheit belastet Erwartungen
Die Geschäftserwartungen bleiben trotz verbesserter Stimmung unter dem langfristigen Trend. Schuld daran sind vor allem die Unsicherheiten rund um US-Präsident Donald Trumps Zollpolitik. Französische Dienstleister zeigen sich besonders nervös vor der Entscheidung am 8. Juli über potenzielle Zollmaßnahmen. Diese Unsicherheit spiegelt sich auch in den Exportaufträgen wider, die in mehreren Ländern rückläufig sind.
Die anhaltende Schwäche der Auslandsnachfrage, besonders aus den USA und anderen europäischen Ländern, bremst die Erholung zusätzlich. Trotzdem halten die Unternehmen an ihrer Personalplanung fest – ein Zeichen für vorsichtigen Optimismus oder die Hoffnung auf baldige Besserung.
Zinswende unter Druck
Die EZB steht vor einem klassischen Zielkonflikt: Einerseits rechtfertigt das schwache Wachstum weitere Zinssenkungen, andererseits droht der Preisdruck im Dienstleistungssektor eine nachhaltige Disinflation zu verhindern. Die Mehrheit der Ökonomen erwartet dennoch eine weitere Zinssenkung im September – eine Entscheidung, die von der Preisentwicklung in den kommenden Wochen abhängen dürfte.
Die unterschiedlichen nationalen Entwicklungen erschweren eine einheitliche Geldpolitik zusätzlich. Während Deutschland und Frankreich noch um Stabilität kämpfen, zeigen andere Länder bereits deutliche Erholungszeichen. Diese Divergenz könnte die EZB dazu zwingen, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden – mit allen Risiken für eine optimale Wirtschaftsförderung.
Die kommenden Monate werden entscheiden, ob die EZB ihren Zinssenkungskurs fortsetzen kann oder ob der Preisdruck im Dienstleistungssektor zu einer Pause zwingt. Für die europäischen Märkte könnte dies der entscheidende Wendepunkt des Jahres werden.