Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) navigiert in stürmischen Gewässern. Gefangen zwischen den Fronten eines eskalierenden Handelskonflikts und wachsenden Inflations- sowie Arbeitsmarktrisiken, sehen sich die Währungshüter am Mittwoch gezwungen, eine gefährliche Gratwanderung zu vollziehen. Die jüngste Zinsentscheidung, den Leitzins unverändert in der Spanne von 4,25% bis 4,50% zu belassen, unterstreicht dieses Dilemma und die damit verbundene immense Unsicherheit für die Fed-Politik und die globalen Finanzmärkte. Analysten sehen die Notenbank in einer Zwickmühle, die kaum Raum für Manöver lässt.
Fed in der Zwickmühle: Zinsen stabil, Risiken steigen
Das Federal Open Market Committee (FOMC), das zinssetzende Gremium der Fed, begründete seine Entscheidung mit einer deutlichen Zunahme der Risiken für beide Seiten ihres dualen Mandats – maximale Beschäftigung und stabile Preise. "Das Komitee ist aufmerksam gegenüber den Risiken für beide Seiten seines dualen Mandats und urteilt, dass die Risiken höherer Arbeitslosigkeit und höherer Inflation gestiegen sind", hieß es in der offiziellen Erklärung. Diese Formulierung deutet auf die wachsende Sorge vor einer Stagflation hin – ein Szenario, das steigende Preise mit wirtschaftlicher Stagnation oder gar Rezession kombiniert.
Die Zurückhaltung der Fed, die Zinsen anzupassen, ist direkt auf die Unwägbarkeiten zurückzuführen, die durch die Zollpolitik der Trump-Administration entstanden sind. Diese Zölle, insbesondere im Handel mit China, trüben nicht nur den wirtschaftlichen Ausblick, sondern drohen gleichzeitig das Wachstum zu verlangsamen und die Inflation anzuheizen. "Die Unsicherheit über den wirtschaftlichen Ausblick hat weiter zugenommen", konstatierte das FOMC. Ökonomen wie Peter Cardillo von Spartan Capital Securities zeigten sich von der Schärfe der Aussage überrascht: "Ich würde sagen, dieses Statement ist ein wenig ‚hawkisher‘, als ich erwartet hatte. Es gibt ein Gefühl, dass die Fed vielleicht auf eine Stagflation hindeutet." Auch Julia Hermann von New York Life Investments spricht von einem "Stagflations-Dilemma für die Fed." Ihre Fähigkeit, präventiv Zinsen zu senken, um das Wachstum zu stützen, sei durch Inflationsrisiken begrenzt, und umgekehrt sei die Möglichkeit, Zinsen zur Inflationsbekämpfung zu erhöhen, durch Wachstumsrisiken eingeschränkt. Die Fed bleibe daher vorerst im Wartemodus, so der Tenor vieler Experten.
Trumps Zollpolitik überschattet Konjunktur
Obwohl die US-Wirtschaft laut Fed insgesamt "weiterhin in solidem Tempo expandiert" habe und der Arbeitsmarkt dank starker April-Daten "solide" bleibe, werfen die Handelspolitik und die damit verbundenen Unsicherheiten dunkle Schatten. Einen Rückgang der Wirtschaftsleistung im ersten Quartal führte die Fed auf Rekordimporte zurück, da Unternehmen und Haushalte versuchten, neuen Importzöllen zuvorzukommen.
Die Hoffnung auf eine baldige Klärung der Zollfrage ist gering. Zwar deutete die Trump-Administration bevorstehende Handelsabkommen an, doch von einer Entspannung im Konflikt mit China ist wenig zu spüren. Präsident Donald Trump selbst betonte jüngst, er sei nicht bereit, von den bestehenden, erheblichen Zöllen gegen Peking abzurücken. Diese Haltung zementiert die Erwartung, dass der Handelsdisput anhalten und die Fed weiter in ihrer Geldpolitik einschränken wird. "Die Fed wird angesichts ihrer Erwartung, dass sich die Inflation verfestigen wird, wahrscheinlich nicht präventiv handeln, und das Ausmaß des Zollschocks könnte anhaltende Inflationseffekte hervorrufen", analysierte Morgan Stanley bereits im Vorfeld der Entscheidung. Ashish Shah von Goldman Sachs Asset Management ergänzte, der Fokus liege nun auf dem Arbeitsmarkt: "Die jüngsten, besser als befürchtet ausgefallenen Arbeitsmarktdaten haben die Haltung der Fed unterstützt, und es liegt nun am Arbeitsmarkt, sich ausreichend abzuschwächen, um eine Wiederaufnahme des Lockerungszyklus zu ermöglichen."
Investoren suchen Schutz vor US-Unsicherheit
Die von der US-Handelspolitik ausgehende Unsicherheit hat spürbare Auswirkungen auf das Investorenverhalten. Auf der jüngsten Milken Institute Global Conference in Beverly Hills war die Nervosität greifbar. Viele Teilnehmer gaben an, angesichts der unberechenbaren Politik Washingtons und der Sorgen vor einer zollinduzierten Rezession verstärkt nach Anlagealternativen außerhalb der USA Ausschau zu halten. Insbesondere Europa rückt dabei in den Fokus. "Wir glauben, dass Europa beginnt, deutlich interessanter auszusehen", erklärte Purnima Puri von HPS Investment Partners. Gründe hierfür seien verbesserte Wachstumsaussichten und attraktivere Bewertungen im Vergleich zu den USA.
Lee Kruter von GoldenTree Asset Management bestätigte diesen Trend: "Zu Beginn des Jahres war die Ansicht, dass die USA der richtige Ort sind, und dorthin floss das Kapital. Das hat sich geändert." Auch wenn ein massiver Kapitalabzug aus den USA aufgrund der Größe und Tiefe der amerikanischen Märkte unwahrscheinlich erscheint, ist die Suche nach Diversifizierung ein klares Signal. Saira Malik von Nuveen merkte an, dass nicht-amerikanische Vermögenswerte kurzfristig besser abschneiden könnten, solange die Zollunsicherheit anhält, langfristig aber US-Assets, getrieben vom Technologiesektor, wieder die Oberhand gewinnen könnten. Hinzu kommen langfristige Sorgen über die US-Staatsverschuldung. Alan Schwartz von Guggenheim Partners warnte: "Ich glaube, dass das Fundament des Dollars und des Treasury-Marktes in den letzten Jahren erodiert ist, und wir sollten bald darauf achten."
Selbst in Nachbarländern wie Mexiko zeigen sich Auswirkungen. Die mexikanische Zentralbank sieht angesichts einer sich verlangsamenden Wirtschaft und der Risiken durch US-Zölle Spielraum für weitere Zinssenkungen, wie Vize-Gouverneur Jonathan Heath andeutete.
Handelskrieg: Hoffnungsschimmer oder trügerische Ruhe?
Ein kleiner Hoffnungsschimmer für die globalen Märkte bot die Ankündigung von Gesprächen zwischen hochrangigen Vertretern der USA und Chinas am kommenden Wochenende in der Schweiz. US-Finanzminister Scott Bessent und der Chef-Handelsunterhändler Jamieson Greer sollen dort Chinas obersten Wirtschaftsbeamten He Lifeng treffen. Bessent beschrieb das Treffen als "Verhandlungen" und deutete an, es gehe um "Deeskalation". Die chinesische Seite zeigte sich jedoch zurückhaltender.
Die Märkte reagierten zunächst verhalten positiv auf die Nachricht von den Gesprächen, wobei die US-Aktienfutures im frühen Handel zulegten. Nach der Fed-Entscheidung zeigten sich die Aktienmärkte jedoch uneinheitlich, der S&P 500 tendierte leicht schwächer, während die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen sanken. Der Dollar-Index gab ebenfalls leicht nach. Chris Zaccarelli von Northlight Asset Management kommentierte die anstehenden Gespräche: "Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber bis ein tatsächlicher Rahmen oder ein Abkommen bekannt gegeben wird, weiß der Markt nicht, wie er die Gespräche verdauen soll." Viele Marktteilnehmer warten nun gespannt auf die Pressekonferenz von Fed-Chef Jerome Powell, um weitere Hinweise auf die Denkweise der Notenbank zu erhalten, insbesondere wie sie die Balance zwischen der Bekämpfung von Inflation und der Stützung des Arbeitsmarktes zu halten gedenkt. "Wie er es im März tat, wird Chair Powell wahrscheinlich betonen, dass das Komitee keine Eile hat, die Zinsen weiter zu senken, und ‚geduldig‘ und ‚vorsichtig‘ vorgehen wird", so die Einschätzung von Macquarie.
Die kommenden Wochen dürften entscheidend werden. Die Augen der Welt richten sich nicht nur auf die Daten zur US-Wirtschaft, sondern vor allem auf die Ergebnisse der Handelsgespräche. Die Fed selbst hat signalisiert, dass sie vorerst an der Seitenlinie abwartet. Doch die Frage bleibt: Wie lange kann sie diesen Kurs halten, wenn sich die Risiken einer Stagflation – steigende Inflation bei gleichzeitig schwächerem Wachstum und höherer Arbeitslosigkeit – weiter materialisieren? Das "Stagflations-Dilemma" könnte die Währungshüter bald zu schmerzhaften Entscheidungen zwingen.