Die internationalen Finanzmärkte stehen vor einer der spannendsten Wochen des Jahres. Im Zentrum der Aufmerksamkeit: Die Federal Reserve und ihre finale Zinsentscheidung für 2025. Während eine Zinssenkung um 25 Basispunkte mittlerweile mit 88-prozentiger Wahrscheinlichkeit eingepreist ist, zeichnet sich im Hintergrund ein ungewöhnlich zerrissenes Bild ab. Das Treffen am 9. und 10. Dezember könnte zu einem der kontroversesten seit Jahren werden – mit weitreichenden Folgen für Anleger weltweit.
Ungewöhnliche Uneinigkeit im Fed-Komitee
Was diese Zinsentscheidung so brisant macht, ist die tiefe Spaltung innerhalb des Federal Open Market Committee. Analysten von JPMorgan erwarten mindestens zwei Gegenstimmen gegen eine Zinssenkung – eine Seltenheit in der jüngeren Fed-Geschichte. Seit 2019 gab es kein Treffen mehr mit drei oder mehr Gegenstimmen, und seit 1990 kam dies nur neunmal vor. Nomura geht sogar von vier hawkishen Gegenstimmen aus, während paradoxerweise Gouverneurin Miran für eine deutlich aggressivere Zinssenkung um 50 Basispunkte plädieren könnte.
Diese ungewöhnliche Konstellation macht die anstehende Pressekonferenz von Fed-Chef Jerome Powell zum Drahtseilakt. Der Markt hat sich bereits auf eine Zinssenkung eingestellt, doch die Art und Weise, wie Powell die divergierenden Ansichten kommuniziert, könnte erhebliche Turbulenzen auslösen. Wird er den Fokus auf Beschäftigungsrisiken oder auf Inflationsgefahren legen? Die Antwort wird richtungsweisend sein.
Erschwerend kommt hinzu, dass Präsident Trump jederzeit Powells Nachfolger benennen könnte. Wirtschaftsberater Kevin Hassett gilt als heißer Kandidat – ein Politiker, der deutlich aggressivere Zinssenkungen favorisiert. Eine solch politisch motivierte Besetzung der wichtigsten Notenbank-Position weltweit könnte das Vertrauen der Märkte nachhaltig erschüttern, insbesondere am langen Ende der Zinskurve.
Globale Notenbanken im Wartezustand
Während die Fed im Rampenlicht steht, halten sich andere große Zentralbanken zurück. Die Reserve Bank of Australia dürfte am Dienstag die Zinsen unverändert bei 3,60 Prozent belassen, obwohl jüngste Daten eine überraschend robuste Wirtschaft zeigen. Das BIP wuchs im dritten Quartal um 2,1 Prozent, die Inflation verharrt bei 3,3 Prozent – deutlich über dem Zielband von 2 bis 3 Prozent. ING-Analysten sehen die Wahrscheinlichkeit weiterer Zinssenkungen mittlerweile als „erheblich gesunken“ an. Die Märkte preisen sogar eine Zinserhöhung für Ende 2026 ein.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in Kanada, wo überraschend starke Arbeitsmarktdaten den Loonie auf ein Zehnwochenhoch katapultiert haben. Die Bank of Canada wird ihre Zinsen am Mittwoch voraussichtlich halten, doch bis Dezember 2026 ist bereits eine Erhöhung vollständig eingepreist.
Die Schweizerische Nationalbank steht vor einem Dilemma: Der Franken hat gegenüber dem Dollar um fast 12 Prozent zugelegt – der stärkste Anstieg seit 2002. Das belastet Uhrmacher und Vermögensverwalter erheblich, doch mit einem Leitzins bereits bei null Prozent sind die Spielräume für weitere Lockerungen begrenzt. Eine Rückkehr zu Negativzinsen will die SNB unbedingt vermeiden.
Chinas Wirtschaft sendet gemischte Signale
Aus Fernost kommen überraschend positive Nachrichten: Chinas Exporte sprangen im November um 5,9 Prozent nach oben und übertreffen damit die Erwartungen deutlich. Der Handelsüberschuss weitete sich auf 111,68 Milliarden Dollar aus – weit mehr als die prognostizierten 100,2 Milliarden. Doch die Zahlen offenbaren eine dramatische Verschiebung: Während die Exporte in die USA um 29 Prozent einbrachen, legten Lieferungen in die EU um 14,8 Prozent zu, nach Australien um beeindruckende 35,8 Prozent und nach Südostasien um 8,2 Prozent.
Chinas Hersteller diversifizieren ihre Exportmärkte konsequent und nutzen globale Produktionsnetze, um Trumps prohibitiv hohe Zölle zu umgehen. Das Politbüro signalisierte am Montag eine „proaktivere Fiskalpolitik“ und eine „angemessen lockere Geldpolitik“ für 2026. Analysten interpretieren dies als Hinweis auf ein hohes Budgetdefizit, umfangreiche Schuldenemissionen und weitere Zinssenkungen, um das Wachstumsziel von rund 5 Prozent zu erreichen.
Peking betont erstmals explizit, dass „die Binnennachfrage die Führung übernehmen“ und ein „starker Binnenmarkt“ aufgebaut werden soll. Nach Jahren der infrastrukturgetriebenen Investitionen deutet sich ein struktureller Wandel hin zu mehr Konsum an – doch dieser Umbau wird Zeit brauchen.
Rohstoffe profitieren von Zinssenkungshoffnungen
Die Aussicht auf niedrigere US-Zinsen treibt die Rohstoffmärkte. Kupfer erreichte Allzeithochs, getrieben von Versorgungssorgen und der starken Nachfrage aus KI-Infrastrukturprojekten. Gold steht bei 4.202 Dollar je Unze, nachdem es am Freitag bis auf 4.259 Dollar gestiegen war. Silber notiert knapp unter seinem historischen Höchststand.
Auch Öl profitiert: Brent handelt bei 63,85 Dollar je Barrel, WTI bei 60,20 Dollar – jeweils nahe Zweiwochenhochs. Neben den Zinshoffnungen stützen geopolitische Unsicherheiten. Reuters berichtet, dass die G7-Staaten und die EU über einen Ersatz der Preisobergrenze für russisches Öl durch ein vollständiges Verbot maritimer Dienstleistungen verhandeln. Das würde die Lieferungen des zweitgrößten Ölproduzenten der Welt weiter einschränken.
Aktienmarkt zwischen Optimismus und Vorsicht
Die Wall Street zeigte sich zuletzt erstaunlich robust. S&P 500 und Nasdaq verzeichneten jeweils viertägige Gewinnserien, der Dow Jones Industrial Average schloss in drei der letzten vier Handelstage im Plus. US-Futures notierten am Montag leicht höher, wobei der S&P 500 um 0,2 Prozent, der Nasdaq um 0,3 Prozent und der Dow um 0,1 Prozent zulegen konnten.
Diese Zuversicht scheint auf den ersten Blick verwunderlich, insbesondere angesichts der jüngsten Rückschläge bei Bitcoin – die Kryptowährung verzeichnete im November ihren stärksten monatlichen Rückgang seit Februar. Doch führende Investmenthäuser bleiben bemerkenswert bullish für 2026. Lombard Odier spricht von einem „Re-Acceleration Trade“, bei dem globales Wirtschaftswachstum eine „diversifizierte“ Rally bei Aktien antreibt. BNP Paribas prognostiziert ein über dem Konsens liegendes Wachstum für die Eurozone.
Dieser Optimismus zeigt sich auch in den kommenden Quartalszahlen: Broadcom, Adobe Systems, Oracle, Costco und Lululemon werden diese Woche berichten. Insbesondere die Ergebnisse von Oracle und Broadcom dürften zeigen, ob der Appetit auf KI-bezogene Investments ungebrochen bleibt.
Dollar stabilisiert sich vor Fed-Entscheidung
Nach zwei Wochen Abwärtsbewegung hat sich der Dollar stabilisiert. Der Dollar-Index hält sich bei 99,013, während der Euro bei 1,1638 Dollar knapp unter seinem Siebenwochenhoch von 1,1682 Dollar notiert. Der Yen handelt bei 155,37 nach einem Dreiwochentief bei 154,34 am Freitag.
Die Märkte erwarten einen „hawkishen Cut“ – also eine Zinssenkung, die von einem restriktiven Ausblick begleitet wird. Sollte Powell in seiner Pressekonferenz höhere Hürden für weitere Zinssenkungen signalisieren, könnte der Dollar profitieren. Derzeit preisen Investoren nur eine 24-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine Zinssenkung im Januar ein, und erst für Juli ist eine weitere Lockerung vollständig eingepreist.
Die anstehende Fed-Sitzung ist mehr als eine routinemäßige Zinsentscheidung. Sie könnte zum Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der Notenbank werden – in einer Zeit, in der politischer Druck zunimmt und die wirtschaftlichen Signale widersprüchlicher nicht sein könnten.


