Die globalen Finanzmärkte halten den Atem an. Während die US-Handelspolitik mit neuen Zöllen droht und die Alarmglocken in der Asien-Pazifik-Region schrillen, suchen Anleger verzweifelt nach Orientierung. Ist dies nur ein vorübergehendes Beben oder der Beginn einer tiefgreifenden Unsicherheit? Entscheidende Wirtschaftsdaten aus den USA und eine mit Spannung erwartete Rede von Fed-Chef Jerome Powell könnten heute, am 15. Mai 2025, wichtige Fingerzeige geben. Die Frage, die über allem schwebt: Wie stark wird der Handelskrieg die Weltwirtschaft wirklich treffen?
APEC warnt: Handel vor dem Kollaps?
Die jüngsten Nachrichten aus der Asien-Pazifik-Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) zeichnen ein düsteres Bild. Auf ihrer Jahrestagung der Handelsminister im südkoreanischen Jeju warnte die Organisation heute eindringlich: Die Exporte der Region, die rund die Hälfte des Welthandels ausmacht, dürften dieses Jahr drastisch einbrechen. Statt eines Wachstums von 5,7 % im Vorjahr wird nur noch ein mageres Plus von 0,4 % erwartet. Auch die regionale Wirtschaftswachstumsprognose wurde von 3,3 % auf 2,6 % gesenkt. Die APEC macht hierfür eine "geringere externe Nachfrage, insbesondere bei Industrie- und Konsumgütern, sowie steigende Unsicherheit über güterbezogene Maßnahmen" verantwortlich – eine kaum verhüllte Anspielung auf die von der Trump-Administration verhängten Zölle, die mehr als die Hälfte der APEC-Mitgliedsstaaten betreffen.
Die Ironie dabei: Gerade die APEC stand für eine Ära der Handelsliberalisierung, in der die durchschnittlichen Zollsätze in der Region von 17 % im Gründungsjahr 1989 auf 5,3 % bis 2021 fielen, während sich der Warenhandel mehr als verneunfachte. Nun droht eine Kehrtwende. "Wir stellen fest, dass die US-Zölle nicht nur den Warenhandel, sondern auch den Dienstleistungsverkehr und die Finanzmärkte beeinträchtigen", warnte APEC-Politikdirektor Carlos Kuriyama.
Immerhin gibt es hinter den Kulissen Bemühungen, die Wogen zu glätten. So trafen sich am Rande des APEC-Gipfels der US-Handelsbeauftragte Jamieson Greer und sein chinesischer Amtskollege Li Chenggang, nachdem es bereits Anfang Mai in Genf Gespräche gegeben hatte, die auf eine Deeskalation im Zollstreit abzielten. Auch Japan intensiviert seine diplomatischen Anstrengungen. Berichten zufolge könnte der japanische Chefunterhändler Ryosei Akazawa bereits nächste Woche zu einer dritten Gesprächsrunde nach Washington reisen. Im Gepäck: ein Maßnahmenpaket, das unter anderem höhere Importe von US-Agrarprodukten und eine Kooperation im Schiffbau vorsieht, um im Gegenzug Ausnahmen von den drohenden US-Zöllen auf Autos und Autoteile zu erwirken. Ab Juli könnten hier Zölle von bis zu 25 % fällig werden – ein Horrorszenario für die exportorientierte japanische Wirtschaft.
Notenbanken im Krisenmodus: Zinsen als Antwort?
Die globalen Handelsspannungen zwingen auch die Notenbanken zum Handeln. In Australien etwa wird die Reserve Bank of Australia (RBA) nächste Woche voraussichtlich die Zinsen um 25 Basispunkte auf 3,85 % senken, wie Analysten von ANZ heute prognostizierten. Brisant daran: Eigentlich präsentiert sich der australische Arbeitsmarkt robust, mit einem unerwartet starken Stellenzuwachs im April. Doch die RBA, so die Einschätzung, werde über diese positiven Daten hinwegsehen und primär auf die nachlassende Inflation und die Unsicherheiten durch die globalen Handelszölle reagieren. Die RBA hatte bereits zu Jahresbeginn einen Zinssenkungszyklus eingeleitet, agiert aber vorsichtig und datenabhängig.
Auch die Bank of Japan (BOJ) kämpft mit den Auswirkungen der US-Handelspolitik. Japans ohnehin schon angespannte Fiskallage und die steigenden Renditen für superlanglaufende Staatsanleihen (JGBs) stellen die Pläne der BOJ zur Reduzierung ihrer Anleihekäufe (Quantitative Tightening, QT) auf eine harte Probe. Die Rendite für 40-jährige JGBs erreichte am Montag ein Rekordhoch von 3,44 %. Marktteilnehmer befürchten, dass steigende Staatsausgaben vor den Oberhauswahlen im Juli die Staatsfinanzen weiter belasten könnten. Diese Entwicklung, gepaart mit den von US-Präsident Trump angedrohten Zöllen, stört die geldpolitische Normalisierung der BOJ erheblich. Ursprünglich wollte die BOJ ihre monatlichen Anleihekäufe bis März 2026 auf 3 Billionen Yen halbieren. Ob dieser Plan haltbar ist, wird nun auf der Sitzung im Juni neu bewertet. Die BOJ muss einen Balanceakt vollführen: den Märkten Verlässlichkeit signalisieren, aber flexibel genug bleiben, um auf Verwerfungen reagieren zu können – eine Herkulesaufgabe, wenn das Vertrauen in die japanischen Staatsfinanzen schwindet.
Die Augen der Finanzwelt richten sich heute zudem gespannt auf die USA. Dort wird eine Rede von Federal Reserve Chair Jerome Powell erwartet. Anleger erhoffen sich Hinweise zur künftigen Geldpolitik der Fed, insbesondere wie diese die Auswirkungen der Zölle auf Inflation und Wirtschaftswachstum einschätzt. Bisher gab sich Powell geduldig und verwies auf die Notwendigkeit, weitere Daten abzuwarten – eine Linie, die er heute fortsetzen dürfte.
Europas Wirtschaft: Ein Lichtblick mit Schatten
Inmitten der globalen Verunsicherung gab es zuletzt auch positive Signale aus einigen europäischen Volkswirtschaften. Allen voran Großbritannien überraschte heute mit stärker als erwarteten Wachstumszahlen für das erste Quartal 2025. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte um 0,7 % zu – der stärkste Anstieg seit einem Jahr und mehr als von Analysten und der Bank of England (BoE) prognostiziert. Finanzministerin Rachel Reeves kommentierte erfreut: "Die heutigen Wachstumszahlen zeigen die Stärke und das Potenzial der britischen Wirtschaft." Sie verwies darauf, dass Großbritannien im ersten Quartal schneller gewachsen sei als die USA, Kanada, Frankreich, Italien und Deutschland. Das Wachstum wurde hauptsächlich vom Dienstleistungssektor und gestiegenen Unternehmensinvestitionen getragen.
Allerdings ist nicht alles Gold, was glänzt. Die britische Industrieproduktion verzeichnete im März einen Rückgang von 0,8 % gegenüber dem Vormonat, deutlich stärker als erwartet. Besonders betroffen waren die Hersteller von Computern, Elektronik und optischen Erzeugnissen (-8,4 %) sowie die Pharmaindustrie (-5,8 %). Dies zeigt, dass die Erholung noch auf wackeligen Beinen steht. Die BoE bleibt daher vorsichtig und erwartet für das Gesamtjahr nur ein Wachstum von 1 %, das sich erst 2027 leicht auf 1,5 % beschleunigen soll.
Auch aus anderen Teilen Europas gibt es differenzierte Nachrichten. Die Schweizer Wirtschaft zeigte im ersten Quartal ein solides Wachstum von 0,7 % und beschleunigte sich damit gegenüber dem Vorquartal. In Frankreich wiederum blieb die Verbraucherpreisinflation im April stabil, der harmonisierte HVPI lag bei +0,9 % im Jahresvergleich. Das deutet auf eine gewisse Stabilität hin, kann aber die übergeordneten Sorgen nicht zerstreuen. Die vorläufigen BIP-Zahlen für die Eurozone, die ebenfalls heute erwartet werden, dürften von Investoren jedoch mit Vorsicht genossen werden, da sie die jüngste Eskalation der Zollrhetorik noch nicht vollständig widerspiegeln.
USA im Fokus: Konjunkturdaten und Banken-Regulierung
Neben der Powell-Rede stehen heute in den USA weitere wichtige Datenpunkte an. Die Einzelhandelsumsätze für April werden veröffentlicht – Ökonomen erwarten hier eine Stagnation auf Monatsbasis. Zusammen mit den Quartalszahlen des Einzelhandesriesen Walmart, einem wichtigen Barometer für den US-Konsum, werden diese Daten Aufschluss über die Robustheit der amerikanischen Binnennachfrage geben. Sollten die Zahlen positiv überraschen, könnte dies die Rezessionsängste etwas mildern. Walmart selbst hatte trotz der Zollunsicherheit seine Jahresprognose zuletzt bestätigt – ein starkes Signal, sollte es dabei bleiben.
Für Gesprächsstoff sorgt zudem ein Bericht der Financial Times, wonach die US-Behörden eine deutliche Lockerung der Kapitalanforderungen für Banken vorbereiten könnten. Konkret geht es um die Supplementary Leverage Ratio (SLR), die Großbanken zwingt, eine zusätzliche Verlustpuffer-Schicht zu halten. Eine Reduzierung dieser Anforderungen könnte Banken mehr Spielraum für Kreditvergabe oder andere Aktivitäten verschaffen und sie motivieren, eine größere Rolle im Handel mit US-Staatsanleihen zu spielen. Dies könnte als Maßnahme interpretiert werden, das Finanzsystem in Zeiten erhöhter Unsicherheit zu stabilisieren.
Ausblick: Sturmfront oder baldige Aufhellung?
Der heutige Tag verspricht also, entscheidende Weichen für die Stimmung an den Finanzmärkten zu stellen. Die Kombination aus APEC-Warnungen, anstehenden Zentralbankentscheidungen, wichtigen US-Konjunkturdaten und der Rede von Jerome Powell bildet einen explosiven Cocktail. Die Kernfrage bleibt: Werden die protektionistischen Tendenzen der US-Handelspolitik die Weltwirtschaft nachhaltig beschädigen, oder können Diplomatie und die Resilienz einzelner Volkswirtschaften das Schlimmste verhindern? Die kommenden Wochen, mit weiteren Handelsgesprächen und Wirtschaftsdaten, werden zeigen, ob die von vielen befürchtete Sturmfront aufzieht oder ob sich doch noch eine Aufhellung am Konjunkturhorizont abzeichnet. Eines ist sicher: Langweilig dürfte es an den Märkten vorerst nicht werden.