Die wirtschaftliche Unsicherheit an den globalen Finanzmärkten greift um sich. Anhaltende Spannungen im internationalen Handel, gepaart mit uneinheitlichen Inflationssignalen und der daraus resultierenden, oft divergierenden Zinspolitik der Notenbanken, zeichnen ein zunehmend komplexes Bild. Während einige Sektoren wie die Technologiebranche Stärke demonstrieren, warnen Ökonomen vor wachsenden Risiken und einer möglichen Neubewertung etablierter Anlageklassen. Sind die jüngsten Verwerfungen nur vorübergehend oder erleben wir den Beginn einer tiefergreifenden globalen Anpassungsphase?
Handelspolitik als permanentes Störfeuer
Ein zentraler Treiber der aktuellen Nervosität bleibt die globale Handelspolitik. Auch wenn der Höhepunkt der direkten Konfrontation zwischen den USA und China einige Jahre zurückliegt, hallen die Auswirkungen nach und neue Unsicherheiten prägen das Bild. Chinas Präsident Xi Jinping betonte jüngst die Notwendigkeit, die chinesische Wirtschaft an Veränderungen im internationalen Umfeld anzupassen. Bei der Ausarbeitung des nächsten Fünfjahresplans (2026-2030) sollen externe Einflüsse und deren Auswirkungen auf China vorausschauend berücksichtigt und die Wirtschaftsstruktur entsprechend optimiert werden. Peking signalisiert damit klar, dass man sich auf ein dauerhaft herausforderndes globales Umfeld einstellt und die Binnenwirtschaft sowie strategische Sektoren stärken will, um "Entwicklung und Sicherheit" besser zu koordinieren. Dieses Streben nach Stabilität und Autarkie ist eine direkte Reaktion auf die Erfahrungen vergangener Handelskonflikte und die anhaltende geopolitische Unsicherheit.
Die Fragilität globaler Lieferketten und die Auswirkungen handelspolitischer Drohgebärden zeigt sich exemplarisch am Fall Taiwan. Die Inselrepublik, ein zentraler Knotenpunkt der globalen Tech-Industrie, meldete für das erste Quartal 2025 ein überraschend starkes Wirtschaftswachstum von 5,37% im Vergleich zum Vorjahr – die höchste Rate seit Anfang 2024. Getrieben wurde dies maßgeblich durch die boomende Nachfrage nach Halbleitern und KI-Technologien, wovon Schwergewichte wie TSMC massiv profitieren. Gleichzeitig räumen Analysten ein, dass ein Teil des Exportbooms auch auf vorgezogene Bestellungen zurückzuführen sein könnte – aus Sorge vor möglichen neuen US-Importzöllen. Dies unterstreicht das Paradox: Während Technologie als starker Wachstumsmotor fungiert, bleibt die Abhängigkeit von funktionierenden globalen Handelsbeziehungen und politischer Stabilität eine Achillesferse.
Aus Sicht der USA ergeben sich daraus ebenfalls komplexe Herausforderungen. Jan Hatzius, Chefökonom bei Goldman Sachs, warnt, dass die Attraktivität von US-Dollar-Anlagen für ausländische Investoren schwinden könnte, sollte der Dollar nicht weiter an Wert verlieren. Die USA weisen ein erhebliches Leistungsbilanzdefizit von über einer Billion Dollar auf und sind somit auf den Zufluss ausländischen Kapitals angewiesen. Da ausländische Portfolios bereits einen hohen Anteil an US-Assets halten, könnte eine weitere Finanzierung dieses Defizits ohne eine Abwertung des Dollars schwierig werden. Diese Einschätzung unterstreicht die potenziellen langfristigen Kosten einer protektionistischen Handelspolitik, selbst wenn kurzfristige Zölle ausgesetzt oder modifiziert werden. Laut Hatzius sei ein sinkender Dollarkurs wahrscheinlich, selbst ohne eine ausgewachsene Rezession in den USA.
Geldpolitik im Fokus: Notenbanken auf unterschiedlichen Pfaden
Die globale Inflationsentwicklung und die Reaktionen der Zentralbanken darauf sind uneinheitlich und tragen zur Verunsicherung bei. Während einige Länder bereits deutliche Fortschritte im Kampf gegen die Inflation sehen, kämpfen andere mit hartnäckigem Preisdruck, insbesondere bei Dienstleistungen.
In Europa zeigt sich dieses divergierende Bild deutlich. Italien meldete für April eine auf EU-Ebene harmonisierte Inflationsrate (HVPI), die mit 2,1% gegenüber dem Vorjahr stabil blieb. Besorgniserregend ist jedoch der Anstieg der Kerninflation (ohne Energie und frische Lebensmittel) von 1,9% auf 2,2%, was auf einen anhaltenden zugrundeliegenden Preisdruck hindeutet. Positivere Signale kommen aus Polen: Dort fiel die Inflationsrate im April überraschend auf 4,2% und damit unter die Markterwartungen von 4,3%. Dies nährt die Spekulationen, dass Polens Zentralbank bereits im Mai die Zinsen um deutliche 50 Basispunkte senken könnte, da die Inflation auf Kurs ist, bis Mitte 2025 wieder ins Zielband der Notenbank (1,5%-3,5%) zurückzukehren. In Deutschland sieht die Finanzaufsicht BaFin die Risiken am heimischen Immobilienmarkt inzwischen als etwas geringer an und lockerte eine spezifische Kapitalanforderung für Wohnimmobilienkredite – ein vorsichtiges Zeichen der Entspannung, auch wenn gleichzeitig betont wird, dass die Unsicherheiten hoch bleiben.
Auch außerhalb Europas gehen die geldpolitischen Erwartungen auseinander. In Australien prognostiziert die Großbank Citi weiterhin eine Zinssenkung durch die Reserve Bank of Australia (RBA) um 25 Basispunkte im Mai, gefolgt von weiteren Schritten im Jahresverlauf. Dies steht im Kontrast zu Teilen des Marktes, die nach jüngsten Daten skeptischer geworden sind. Citi bezeichnet die RBA als "widerwilligen Senker" und sieht das Risiko eher in weniger als in aggressiveren Zinssenkungen. Am anderen Ende des Spektrums steht Taiwan: Trotz des robusten Wirtschaftswachstums erwarten Analysten, dass die dortige Zentralbank die Zinsen stabil halten wird – eine Ausnahme in einer Region, in der viele andere Notenbanken über Zinssenkungen nachdenken oder diese bereits umsetzen.
In den USA wird die Geldpolitik der Federal Reserve zusätzlich durch die Handelspolitik verkompliziert. Wie Goldman Sachs anmerkt, könnte die Fed angesichts der sich abschwächenden Konjunktur eigentlich schon über Zinssenkungen nachdenken. Der von Zöllen Mitausgelöste Inflationsschub erschwert jedoch solche Schritte. Sollte dieser Inflationsdruck nur vorübergehend sein, könnten Zinssenkungen in den kommenden Monaten wahrscheinlicher werden. Die Bank selbst rechnet mit drei Zinssenkungen à 25 Basispunkte im Juni, Juli und September, betont aber die hohe Unsicherheit der Prognosen aufgrund der unberechenbaren Handelspolitik.
Wachstumsmotoren stottern? Regionale Unterschiede prägen das Bild
Die globale Konjunktur zeigt deutliche regionale Unterschiede. Während einige Volkswirtschaften und Sektoren beeindruckende Widerstandsfähigkeit beweisen, kämpfen andere mit spürbarer Abkühlung.
Asien präsentiert sich dabei zweigeteilt. Taiwans Tech-Sektor boomt dank globaler Megatrends wie Künstlicher Intelligenz und bildet einen wichtigen Wachstumspfeiler für die Region. Chinas Wirtschaft hingegen fokussiert sich unter der Führung von Xi Jinping stärker auf Stabilität, Anpassung und die Stärkung der Binnennachfrage, was auf eine Phase moderateren, aber möglicherweise nachhaltigeren Wachstums hindeutet. Das offizielle Wachstumsziel von "rund 5%" für 2025 wird von Beobachtern angesichts der globalen Unsicherheiten und der Nachwirkungen der Handelspolitik als ambitioniert angesehen.
Die US-Wirtschaft sieht sich laut Goldman Sachs einer Verlangsamung gegenüber, mit einer erwarteten Wachstumsrate von nur noch 0,5% im vierten Quartal im Jahresvergleich. Die Abhängigkeit von ausländischem Kapital zur Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits und die potenzielle Abwertung des Dollars stellen mittelfristige Herausforderungen dar. Die hohe Unsicherheit über die zukünftige Handelspolitik erschwert zudem verlässliche Prognosen.
Europa bietet ein gemischtes Bild. Während Irland eine relativ niedrige Arbeitslosenquote von 4,1% meldet (obwohl frühere Daten nach unten korrigiert wurden), signalisieren Inflationsdaten aus Italien anhaltenden Preisdruck. Die erwartete Zinssenkung in Polen könnte die dortige Wirtschaft stützen, während die leichte Entspannung am deutschen Immobilienmarkt Hoffnung macht, aber die Gesamtrisiken hoch bleiben.
Ausblick: Kurs halten im Ungewissen
Die Weltwirtschaft navigiert im Frühjahr 2025 durch unruhiges Fahrwasser. Die anhaltende wirtschaftliche Unsicherheit, gespeist aus handelspolitischen Spannungen, divergierender Inflation und uneinheitlicher Geldpolitik, fordert von Unternehmen und Investoren hohe Anpassungsfähigkeit. Die Stärke des Technologiesektors, wie in Taiwan zu sehen, bietet zwar Lichtblicke, kann aber die grundlegenden globalen Herausforderungen nicht überdecken. Chinas strategische Neuausrichtung und die Warnungen vor einer nachlassenden Attraktivität von US-Anlagen deuten auf mögliche Verschiebungen in den globalen Kapitalströmen hin. Die kommenden Monate dürften entscheidend dafür sein, ob die eingeleiteten geldpolitischen Maßnahmen und nationalen Anpassungsstrategien ausreichen, um eine tiefere Krise abzuwenden, oder ob die multiplen Belastungsfaktoren die globale Konjunktur weiter ausbremsen. Es bleibt spannend zu beobachten, welche Volkswirtschaften und Sektoren sich in diesem anspruchsvollen Umfeld am widerstandsfähigsten erweisen.