Ein unerwarteter Paukenschlag im schwelenden Handelskonflikt zwischen den USA und China sorgte am Montag für eine Welle der Erleichterung an den globalen Finanzmärkten. Nach angespannten Verhandlungen am Wochenende einigten sich die beiden weltgrößten Volkswirtschaften auf eine drastische, wenn auch vorerst auf 90 Tage befristete Reduzierung der gegenseitigen Strafzölle. Dieses überraschende Handelsabkommen löste eine sofortige Rally bei Risikoanlagen aus und warf die Frage auf: Ist das Schlimmste im Handelsstreit überstanden oder handelt es sich nur um eine kurze Atempause?
Globale Rally nach Zollsenkung
Die Nachricht von der Deeskalation traf die Märkte mit voller Wucht und übertraf die Erwartungen vieler Analysten. Die USA werden ihre im April verhängten Zusatzzölle auf chinesische Waren von 145 % auf 30 % senken, während China seine Abgaben auf US-Importe von 125 % auf 10 % reduziert. "Trump hat seine Zölle schneller zurückgefahren, als irgendjemand für möglich gehalten hätte", kommentierte Arne Petimezas vom AFS Group die überraschende Wende. Die unmittelbare Folge war eine Flucht in risikoreichere Anlagen.
Die US-Aktienfutures schossen in die Höhe, wobei der Dow Jones Future zeitweise um fast 2 % zulegte und der technologielastige Nasdaq 100 Future sogar über 3 % gewann. Auch in Europa legte der Leitindex STOXX 600 deutlich zu. Gleichzeitig stand der US-Dollar im Mittelpunkt des Interesses. Der Dollar-Index, der die Währung gegenüber einem Korb anderer wichtiger Währungen misst, kletterte um über 1 % auf ein Monatshoch. Strategen wie Kenneth Broux von Societe Generale sahen darin Nachholpotenzial: "Jetzt sind die Bedingungen für eine größere Erholung des Dollars gegeben, um mit US-Aktien und Anleiherenditen gleichzuziehen."
Die Kehrseite dieser Entwicklung war eine deutliche Schwäche bei als sicher geltenden Häfen. Der japanische Yen und der Schweizer Franken verloren gegenüber dem Dollar kräftig. Auch der Euro geriet unter Druck und fiel um über 1 % auf unter 1,11 Dollar, der stärkste Tagesverlust in diesem Jahr. Das britische Pfund gab ebenfalls nach. Der chinesische Yuan hingegen profitierte und erreichte ein Sechsmonatshoch gegenüber dem Dollar. Analysten werteten das Abkommen als besonderen Erfolg für Peking. Parallel dazu sorgten Meldungen über einen Waffenstillstand zwischen Indien und Pakistan sowie die Bereitschaft zu direkten Gesprächen zwischen Russland und der Ukraine für zusätzliche positive Impulse bei der Risikobereitschaft der Anleger. Auch die Rohstoffmärkte reagierten positiv: Die Ölpreise der Sorten Brent und WTI legten jeweils um über 2,5 % zu, getragen von der Hoffnung auf eine Entspannung der globalen Handelslage. Gold als klassischer sicherer Hafen verlor hingegen an Glanz.
Zinsmärkte und Zentralbanken unter Druck
Folgerichtig preisten die Geldmärkte nach dem Handelsabkommen rasch die Wahrscheinlichkeit von Zinssenkungen durch die großen Zentralbanken aus. Die verbesserte Wachstumsperspektive reduziert den Druck auf die Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB), die Geldpolitik weiter zu lockern. Dies spiegelte sich unmittelbar an den Anleihemärkten wider. Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen kletterten merklich an.
Auch in der Eurozone zogen die Renditen an. Die Rendite der richtungsweisenden zehnjährigen deutschen Bundesanleihe stieg auf über 2,62 % und erreichte damit den höchsten Stand seit Mitte April. Die zweijährige deutsche Anleihe, die stärker auf die Zinspolitik der EZB reagiert, verzeichnete ebenfalls einen deutlichen Renditeanstieg. Die Wetten am Markt für den Einlagensatz der EZB bis Jahresende verschoben sich nach oben, weg von den Tiefstständen, die noch Ende April infolge der Sorgen vor den US-Zöllen eingepreist wurden.
Verstärkt wurde dieser Trend durch Äußerungen aus dem EZB-Direktorium. Isabel Schnabel hatte bereits am Freitag gemahnt, die EZB solle mit Zinssenkungen innehalten, da die globalen Turbulenzen Preisdruck erzeugten und die Inflation mittelfristig das 2%-Ziel überschreiten könnte. Auch bei der Bank of England (BoE) bleibt man vorsichtig. Vize-Gouverneurin Clare Lombardelli betonte zwar, dass die jüngste Zinssenkung in Großbritannien auch vor dem Hintergrund der globalen Handelsspannungen erfolgt sei, warnte aber gleichzeitig vor anhaltenden Inflationsrisiken. Sie verwies darauf, dass das Lohnwachstum in Großbritannien weiterhin zu hoch sei, um mit dem Inflationsziel vereinbar zu sein. Die US-Handelspolitik selbst dürfte laut Lombardelli über geringere Nachfrage und Handelsumlenkungen zu schwächerem Wachstum und niedrigerer Inflation im Vereinigten Königreich führen.
Unsicherheiten bleiben trotz Deal
Trotz der Euphorie an den Märkten mahnen Experten zur Vorsicht. Das Abkommen stellt lediglich eine 90-tägige Feuerpause dar. "Dies ist der Beginn eines langen Prozesses", betonte Zhiwei Zhang von Pinpoint Asset Management. Ob in den kommenden Monaten eine dauerhafte Lösung gefunden werden kann, bleibt abzuwarten. Die grundlegenden Konfliktpunkte zwischen den USA und China sind damit nicht ausgeräumt.
Der Fokus der Anleger richtet sich nun auf die Wirtschaftsdaten dieser Woche, insbesondere die US-Verbraucherpreisinflation (CPI) am Dienstag und die Einzelhandelsumsätze am Donnerstag. Diese Zahlen werden erste Hinweise darauf geben, wie stark die nun vorerst pausierten Zölle die US-Wirtschaft im April tatsächlich belastet haben. Ökonomen hatten gewarnt, dass die aggressive Handelspolitik die Inflation anheizen könnte. Die Inflationsdaten dürften daher genauestens analysiert werden, auch wenn Fed-Vertreter zuletzt bereits signalisierten, sich der Aufwärtsrisiken bewusst zu sein.
Zudem zeigen andere politische Entwicklungen, dass Unsicherheiten fortbestehen. So kündigte US-Präsident Trump an, per Dekret die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente in den USA massiv senken zu wollen. Dies setzte Pharmaaktien in Europa und Asien unter Druck, da viele Unternehmen stark vom hochpreisigen US-Markt abhängig sind. Ein weiterer Faktor, der die Komplexität der globalen Kapitalströme unterstreicht: Japanische Investoren hatten laut Daten vom Montag bereits im April massiv ausländische Aktien gekauft und sich von Anleihen getrennt – eine Reaktion auf die vorherige Marktvolatilität und möglicherweise ein Versuch, von günstigeren Bewertungen außerhalb Japans zu profitieren, noch bevor das Handelsabkommen zustande kam.
Die unmittelbare Gefahr einer Eskalation im Handelsstreit scheint gebannt, doch die Erleichterung ist fragil. Die kommenden Wochen und Monate dürften zeigen, ob aus der Atempause eine nachhaltige Entspannung wird oder ob neue Konfliktherde die Märkte belasten. Die Unsicherheit bleibt vorerst ein ständiger Begleiter.