Die Finanzmärkte atmen nach der jüngsten Einigung im Handelskonflikt zwischen den USA und China auf, doch die Erleichterung könnte trügerisch sein. Während Washington und Peking eine 90-tägige Aussetzung neuer Zölle vereinbarten und bestehende Abgaben reduzierten, bleiben fundamentale Spannungen bestehen und werfen einen Schatten auf die globale Wirtschaft. Die große Frage, die sich Anleger und Unternehmen nun stellen: Ist dies der Beginn einer echten Deeskalation oder lediglich eine taktische Verschnaufpause in einem Kräftemessen mit weitreichenden Folgen?
Der Deal: Details und erste Reaktionen
Die Anfang dieser Woche erzielte Vereinbarung sieht vor, dass die USA ihre Zölle auf chinesische Waren von bis zu 145% auf 30% senken – darin enthalten ein Basiszoll von 10% und 20% Sonderabgaben im Zusammenhang mit Pekings Rolle im Fentanyl-Handel. China wiederum reduziert seine Zölle auf US-Produkte auf 10%. Entscheidend ist die vereinbarte 90-Tage-Frist, in der keine neuen Zölle erhoben werden sollen und weitere Verhandlungen auf Arbeitsebene geplant sind. Bereits am Donnerstag trafen sich der chinesische Handelsgesandte Li Chenggang und der US-Handelsbeauftragte Jamieson Greer am Rande einer Konferenz in Südkorea, Details der Gespräche wurden jedoch noch nicht bekannt.
Die unmittelbare Reaktion an den Märkten war positiv. Die Investmentbank Barclays hat ihre Prognose einer US-Rezession für dieses Jahr zurückgenommen und erwartet nun ein Wachstum von 0,5% für 2025 und 1,6% für 2026 in den USA – eine deutliche Verbesserung gegenüber früheren Schätzungen. Selbst für die Eurozone, deren Wirtschaftsaussichten Barclays skeptischer beurteilt, wurde die Wachstumsprognose für dieses Jahr von einer Kontraktion um 0,2% auf nunmehr eine Stagnation angehoben. Für das zweite Halbjahr 2025 wird zwar weiterhin eine technische Rezession in der Eurozone erwartet, diese dürfte aber milder ausfallen. Auch die Rettung des Weihnachtsgeschäfts, symbolisiert durch die Sorge um hyperinflationierte Barbie-Preise in den USA, scheint vorerst geglückt, da Warenlager in China sich nun leeren dürften. Zudem fließen Chinas für Hightech-Anwendungen kritische Seltene Erden wieder.
Doch die Euphorie wird gedämpft. Analysten weisen darauf hin, dass die Zölle trotz der Reduktion immer noch deutlich über dem Niveau zu Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Trump liegen und teils die höchsten seit den 1930er Jahren darstellen. Die chinesische Staatszeitung Global Times forderte bereits eine Verlängerung des Abkommens weit über die 90 Tage hinaus und mahnte die USA, China weiterhin auf halbem Wege entgegenzukommen.
Globale Unsicherheit und wirtschaftliche Bremsspuren
Die Auswirkungen des schwelenden Handelskonflikts sind weltweit spürbar und die aktuelle Entspannung beseitigt nicht alle Sorgen. Singapurs Handelsminister Gan Kim Yong warnte am Freitag, dass die Wachstumsprognose des stark vom Handel abhängigen Stadtstaates möglicherweise weiter nach unten korrigiert werden müsse. Trotz eines Freihandelsabkommens mit den USA unterliegt Singapur einem 10%-Basiszoll und verhandelt derzeit über Ausnahmen für Pharmaexporte. Die Lage in anderen südostasiatischen Ländern wie Indonesien (32% US-Zölle), Thailand (36%) oder Vietnam (46%) ist noch angespannter.
Auch die Eurozone bleibt ein Sorgenkind. Barclays begründet seine weiterhin gedämpfte Prognose mit der hohen Unsicherheit und dem Mangel an Fortschritten bei den Zollverhandlungen zwischen der EU und den USA. Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht den Handelskonflikt als signifikantes Risiko. EZB-Ratsmitglied Martins Kazaks deutete am Freitag an, dass der Zinssenkungszyklus der Notenbank sich dem Ende nähern könnte, dies aber stark von der Entwicklung der Handelsgespräche abhänge. Ein "paar weitere Zinssenkungen" seien zwar möglich, aber eine Eskalation im Handelsstreit könnte die Pläne ändern. EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel plädierte bereits für stabile Zinsen, während Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau noch Spielraum für Lockerungen sieht. Villeroy betonte jedoch, die EZB werde die Zinsen nicht nutzen, um einen Währungskrieg zu führen.
In den USA selbst zeichnet sich ein gemischtes Bild ab. Walmart, der Einzelhandelsriese, warnte bereits, dass die erhöhten Zölle in den kommenden Wochen zu Preiserhöhungen führen werden – eine Ansage, die bald von anderen Unternehmen wie Home Depot oder Target folgen könnte, deren Quartalsberichte anstehen. Die US-Einzelhandelsumsätze zeigten im April eine Verlangsamung, nachdem Vorziehkäufe aus Sorge vor Zollerhöhungen im März abgeklungen waren. Die heute erwartete Vorabschätzung der Konsumstimmung der Universität Michigan steht daher besonders im Fokus, nachdem diese in den letzten Monaten aufgrund von Zollbedenken gefallen war. Ein konkretes Beispiel für die direkten Folgen von Handelsbeschränkungen lieferte der Chipausrüster Applied Materials, dessen Umsatz im China-Geschäft aufgrund neuer US-Exportrestriktionen deutlich einbrach.
Im Gegensatz dazu meldete Hongkong für das erste Quartal 2025 ein Wirtschaftswachstum von 3,1% gegenüber dem Vorjahr, getragen von Exporten und Investitionen, was die Bedeutung offener Handelswege für exportorientierte Volkswirtschaften unterstreicht. Die italienischen Verbraucherpreise zeigten im April einen leichten Anstieg, wobei die Kerninflation etwas zulegte, was die komplexen Inflationsdynamiken in der Eurozone widerspiegelt.
Politische Manöver und der Blick nach vorn
Die handelspolitischen Spannungen stehen auch im Zentrum des G7-Finanzministertreffens, das vom 20. bis 22. Mai im kanadischen Banff stattfindet. Die Atmosphäre gilt angesichts der US-Zollpolitik und wachsender Anzeichen für amerikanischen Isolationismus als angespannt. Brisanz birgt auch Trumps jüngster Vorstoß, Kanada zum 51. US-Bundesstaat machen zu wollen. Zudem dürften Währungsfragen eine Rolle spielen, da spekuliert wird, dass einige Länder eine stärkere eigene Währung gegenüber dem Dollar als Teil von Handelsverhandlungen tolerieren könnten. Der nächste Bericht des US-Finanzministeriums zu Währungsmanipulationen wird ebenfalls mit Spannung erwartet.
Aus China kommen Signale der Kooperationsbereitschaft, doch die Augen richten sich auch auf die am Montag anstehenden Daten zu Einzelhandelsumsätzen und Industrieproduktion, die Aufschluss über die Gesundheit der Binnenwirtschaft geben werden. In Großbritannien hofft man auf einen "Brexit-Reset" beim EU-Gipfel am 19. Mai, doch Premierminister Keir Starmer agiert vorsichtig angesichts erstarkender europaskeptischer Kräfte. Die britische Wirtschaft zeigt indes Schwächeanzeichen, besonders im Dienstleistungssektor.
Die Finanzmärkte reagierten auf die jüngste Entspannung zunächst mit einer Rally, doch die US-Aktienfutures zeigten sich am Freitag bereits wieder gedämpft. Der Goldpreis gab nach, da die kurzfristig gestiegene Risikobereitschaft die Nachfrage nach dem sicheren Hafen reduzierte. Es bleibt eine hohe Nervosität.
Der 90-Tage-Waffenstillstand im US-China-Handelskonflikt ist ein Hoffnungsschimmer, mehr aber vorerst nicht. Die kommenden Wochen – mit dem Ablauf der Frist Mitte August, wichtigen Wirtschaftsdaten und politischen Treffen wie dem G7-Gipfel – werden zeigen, ob aus der zerbrechlichen Entspannung eine stabile Grundlage für fairen globalen Handel erwachsen kann. Bis dahin dürften Unsicherheit und die Sorge vor neuen Eskalationen die Märkte weiter in Atem halten. Die Frage, ob es um echte Deeskalation oder nur um eine taktische Pause geht, bleibt vorerst unbeantwortet.