Die Finanzmärkte zeigen sich nervös. Eine drohende US-Schuldenkrise, angefacht durch die Herabstufung der Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten durch Moody’s in der vergangenen Woche, sendet Schockwellen um den Globus. Steigende Anleiherenditen und volatile Aktienkurse dominieren das Bild an diesem Dienstag. Investoren fragen sich besorgt: Handelt es sich nur um kurzfristige Turbulenzen oder steht eine tiefgreifende Vertrauenskrise in die weltgrößte Volkswirtschaft bevor? Die Unsicherheit wird durch die unklare künftige Fiskalpolitik und die anhaltenden Debatten über massive Steuersenkungen in den USA weiter befeuert.
Amerikas Schuldenberg alarmiert Investoren
Die Entscheidung von Moody’s, die US-Bonität um eine Stufe herabzusetzen, begründete die Ratingagentur mit dem stetig wachsenden Schuldenberg der Regierung und den steigenden Zinslasten. Diese Entwicklung hat an den Anleihemärkten umgehend Spuren hinterlassen. Die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen, ein wichtiger Richtwert für Hypothekenzinsen und Unternehmenskredite, kletterten am Montag zeitweise über die kritische Marke von 4,5 % und notierten auch am Dienstag weiter in dieser Region bei 4,48 %. Noch deutlicher fiel der Anstieg bei den dreißigjährigen Anleihen aus, deren Renditen am Montag mit über 5 % den höchsten Stand seit November 2023 erreichten und auch am Dienstag mit diesem Niveau flirteten.
Diese Entwicklung bei den Renditen – die sich umgekehrt zu den Anleihekursen bewegen – hat direkte Auswirkungen auf die Aktienmärkte. Höhere Zinsen bedeuten steigende Finanzierungskosten für Unternehmen und machen festverzinsliche Wertpapiere als Anlagealternative attraktiver. "Jedes Mal, wenn so etwas passiert, überdenken Investoren, ob sie nicht doch mehr Kapital aus den USA abziehen sollten", kommentierte Campe Goodman, Portfoliomanager bei Wellington Management Company, die Lage. Matthew Miskin von Manulife John Hancock Investments sieht einen Anstieg der Zehnjahresrenditen über 4,5 % als potenziellen Gegenwind für Aktien. Nach seiner Einschätzung fragen sich die Märkte, ob ein Ausbruch der Dreißigjahresrenditen Signalwirkung für die gesamte Zinskurve haben könnte.
Historisch betrachtet gerieten Aktien oft unter Druck, wenn die Renditen für zehnjährige US-Staatsanleihen die Marke von 4,5 % überschritten, wie zuletzt Ende 2023, als der S&P 500 parallel zu einem Renditeanstieg auf 5 % deutlich nachgab. Michael Wilson, Aktienstratege bei Morgan Stanley, bezeichnete die 4,5 %-Marke als "wichtiges Niveau" für die Bewertung des Aktienmarktes in den letzten zwei Jahren. Ein Überschreiten dieser Schwelle könne zu einer "moderaten Bewertungskomprimierung" führen. Trotz der aktuellen Bewertung des S&P 500, dessen Kurs-Gewinn-Verhältnis mit 21,7 deutlich über dem langfristigen Durchschnitt von 15,8 liegt, rät Wilson jedoch, einen solchen Rücksetzer als Kaufgelegenheit zu nutzen, und verweist auf den jüngsten Waffenstillstand im Handelsstreit zwischen den USA und China als positiven Faktor.
Die Sorgen um die US-Staatsfinanzen werden durch die Pläne der Republikaner im Kongress für ein umfassendes Paket von Steuersenkungen weiter verstärkt. Dieses könnte die öffentliche Schuldenlast der USA von derzeit rund 36 Billionen US-Dollar um weitere Billionen erhöhen und damit genau die von Moody’s angemahnten Probleme verschärfen. Präsident Trump warb am Dienstag auf dem Kapitol bei republikanischen Abgeordneten für die Verabschiedung des Gesetzespakets.
Zentralbanken im Dilemma: Inflation und politische Unsicherheit
Die angespannte Lage an den Finanzmärkten stellt auch die Zentralbanken vor große Herausforderungen. Alberto Musalem, Präsident der St. Louis Federal Reserve Bank, warnte am Montag vor den "bedeutenden" Auswirkungen der hohen Unsicherheit über die Handels- und Wirtschaftspolitik der Trump-Administration auf die Konjunktur. Unternehmen und Haushalte könnten Investitions- und Konsumentscheidungen aufschieben, was das Wirtschaftswachstum bremsen würde. Am Dienstag bekräftigte Musalem, dass die Fed bei ihren Zinsentscheidungen die Inflationsentwicklung und die Stabilität der Inflationserwartungen priorisieren müsse. Solange die Öffentlichkeit weiterhin davon ausgehe, dass die Inflation auf das 2%-Ziel der Fed zurückkehre, sei eine ausbalancierte Geldpolitik machbar. Sollten jedoch Handelsgespräche die Spannungen dauerhaft deeskalieren, könnte der Arbeitsmarkt stark bleiben und die Inflation auf dem Pfad zum 2%-Ziel verharren. In diesem Szenario, so Musalem, wäre der aktuelle geldpolitische Kurs angemessen. Eine voreilige Zusage von Zinssenkungen zur Stützung der Wirtschaft lehnt er angesichts der unsicheren Auswirkungen von Zöllen ab.
Auch andere Notenbanken kämpfen mit erhöhter Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit. In Kanada, so die Analysten der Scotiabank, lasse die hartnäckige Kerninflation der Bank of Canada "keinen Spielraum" für weitere Zinssenkungen in naher Zukunft – wenn überhaupt. Obwohl die Headline-Inflation im April auf 1,7 % gesunken sei, lägen die von der Bank of Canada bevorzugten Kerninflationsmaße mit Werten über 3 % deutlich über dem Ziel. Die Märkte haben ihre Erwartungen an Zinssenkungen in Kanada bereits deutlich zurückgeschraubt. Der Gouverneur der Bank of Canada, Tiff Macklem, dürfte im Laufe dieser Woche bekräftigen, dass geldpolitische Entscheidungen weiterhin datenabhängig bleiben.
Ähnliche Töne kommen aus dem Vereinigten Königreich. Huw Pill, Chefökonom der Bank of England, äußerte, das bisherige Tempo der Zinssenkungen sei angesichts des starken Lohndrucks auf die Inflation möglicherweise zu schnell gewesen. Die am Mittwoch erwarteten britischen Inflationsdaten stehen daher besonders im Fokus.
Börsen zwischen Hoffen und Bangen
An den Aktienmärkten zeigte sich am Dienstag ein gemischtes Bild. Während die Wall Street nach einer sechstägigen Gewinnserie eine Verschnaufpause einlegte und der S&P 500 sowie der Nasdaq Composite Verluste verzeichneten, erreichte der britische FTSE 100, gestützt von starken Unternehmensgewinnen, ein Zweimonatshoch. Unternehmen wie Vodafone und der Ingenieurkonzern Smiths Group überzeugten mit positiven Ausblicken. Auch der binnenwirtschaftlich orientierte FTSE 250 legte zu.
Analysten sehen die Kursrückgänge in den USA als eine Phase der Konsolidierung nach der jüngsten Rallye. "Ein Markt, der in kurzer Zeit so stark gestiegen ist, bei relativ dünner Nachrichtenlage, versucht nun, das alles zu verdauen und den nächsten Katalysator zu finden", erklärte Robert Pavlik von Dakota Wealth. Obwohl der S&P 500 seit seinen Tiefs im April um mehr als 17 % zugelegt hat, als die von Präsident Trump verhängten Zölle die Märkte erschütterten, liegt er immer noch rund 3 % unter seinen Rekordhochs.
Die Anleger warten gespannt auf weitere Kommentare von Fed-Vertretern sowie auf die vorläufigen Einkaufsmanagerindizes für Mai, die im Laufe der Woche veröffentlicht werden. Auch die Quartalszahlen des Chip-Giganten Nvidia am 28. Mai werden mit Spannung erwartet.
Ausblick: Zerreißprobe für die Märkte
Die globalen Finanzmärkte befinden sich in einer heiklen Phase. Die Sorge vor einer US-Schuldenkrise, gepaart mit hartnäckiger Inflation und politischer Unsicherheit, insbesondere mit Blick auf die US-Handels- und Fiskalpolitik, sorgt für erhebliche Nervosität. Die steigenden Anleiherenditen in den USA haben das Potenzial, die globalen Kapitalströme zu beeinflussen und die Finanzierungskonditionen weltweit zu verschärfen. Kann die Fed den Spagat zwischen Inflationsbekämpfung und Konjunkturstützung meistern, ohne die Märkte weiter zu destabilisieren? Die kommenden Wochen, mit wichtigen Wirtschaftsdaten und weiteren Signalen von den Zentralbanken, dürften entscheidend dafür sein, ob die Märkte einen Weg aus dem aktuellen Krisenmodus finden oder ob die Turbulenzen weiter zunehmen. Die Augen der Investoren richten sich zudem auf das G7-Treffen in Kanada, von dem Impulse in Handelsfragen erwartet werden, die die Unsicherheit entweder mildern oder verschärfen könnten. Es bleibt abzuwarten, ob die jüngste Entspannung im US-chinesischen Handelsstreit nachhaltig ist und ob die Politik die Weichen für eine Stabilisierung stellen kann.