Zentralbanken im Zinsdilemma

Die Bank of Japan hebt den Leitzins an, während Russlands Notenbank ihn senkt. Westliche Zentralbanken bleiben vorsichtig, während schwache Wirtschaftsdaten und geopolitischer Druck die Märkte belasten.

Zentralbanken im Zinsdilemma
Kurz & knapp:
  • Bank of Japan hebt Leitzins auf höchsten Stand seit 30 Jahren
  • Russlands Zentralbank senkt Zinsen trotz anhaltender Inflation
  • EZB und Bank of England signalisieren Ende des Lockerungszyklus
  • Schwache Konjunkturdaten und geopolitische Spannungen erhöhen Unsicherheit

Drei Kontinente, drei Zentralbanken, drei unterschiedliche Antworten auf das gleiche Problem: Wie viel Spielraum bleibt noch für Zinspolitik? Während die Bank of Japan nach drei Jahrzehnten erstmals wieder ernst macht mit Zinserhöhungen, rudert Russlands Notenbank zurück – und die Finanzmärkte reagieren mit Nervosität. Im Hintergrund sorgen schwache Konjunkturdaten und geopolitische Spannungen für zusätzliche Unsicherheit.

Japan wagt den Schritt nach oben

Die Bank of Japan hat am Freitag den Leitzins auf 0,75 Prozent angehoben – das höchste Niveau seit 30 Jahren. Es ist erst die zweite Erhöhung in diesem Jahr und ein weiterer Meilenstein im Abschied von der jahrzehntelangen Nullzinspolitik. Gouverneur Kazuo Ueda begründete den Schritt mit der Überzeugung, dass Japan auf einem stabilen Pfad zur 2-Prozent-Inflationsmarke sei, getragen von steigenden Löhnen.

Doch die Reaktion der Märkte fiel ernüchternd aus. Der Yen gab gegenüber dem Dollar über ein Prozent nach und rutschte auf 157 – ein kritisches Niveau, bei dem die japanische Regierung in der Vergangenheit bereits Interventionsbereitschaft signalisiert hatte. Gegenüber dem Euro erreichte die japanische Währung sogar ein Rekordtief von 184. Der Grund: Ueda blieb in seiner Pressekonferenz bewusst vage, was Tempo und Ziel weiterer Zinsschritte angeht.

„Er hat keine neuen Hinweise gegeben und schien es nicht eilig zu haben, weiter anzuheben. Das könnte die Wahrnehmung befeuert haben, dass die BOJ sich Zeit lassen wird“, analysierte Masato Koike vom Sompo Institute Plus. Für Carry-Trade-Investoren, die sich günstig in Yen verschulden und das Geld in höher verzinste Währungen anlegen, war das ein willkommenes Signal. Besonders beliebt sind derzeit Positionen in Euro und australischen Dollar gegen Yen – eine potenzielle Belastung für Japans Wirtschaft, da ein schwacher Yen die Importkosten für Energie und Lebensmittel in die Höhe treibt.

Russland senkt trotz hartnäckiger Inflation

Am gleichen Tag vollzog Russlands Zentralbank den gegenteiligen Schritt: Sie senkte den Leitzins um 50 Basispunkte auf 16 Prozent. Die Entscheidung fiel zeitgleich mit Präsident Wladimir Putins jährlicher Fragestunde – kein Zufall, sondern ein heikler Balanceakt zwischen ökonomischer Notwendigkeit und politischem Druck.

Gouverneurin Elvira Nabiullina erklärte, dass der Zinsrat drei Optionen diskutiert habe: Unverändert lassen, 50 oder 100 Basispunkte senken. Die Mehrheit entschied sich für den vorsichtigeren Weg. Zwar sei die Inflation im November zurückgegangen, doch die Unsicherheit bleibe hoch. Für Anfang 2026 erwartet die Notenbank sogar einen vorübergehenden Inflationsschub durch Steuererhöhungen und Tarifanpassungen.

Putin selbst versuchte, die Zinssorgen der Bevölkerung zu relativieren. Er prognostizierte, die Inflation könne 2025 auf 5,6 Prozent fallen, nach 9,5 Prozent im Vorjahr. Doch die Realität vieler Russen sieht anders aus: Die Moderatoren seiner Fragestunde berichteten von zahlreichen Zuschriften, die den offiziellen Zahlen misstrauen. Ein Vater aus der Region Samara klagte, sein Gehalt von 50.000 Rubel reiche nicht mehr, um seine Familie mit drei Kindern zu ernähren – der Preis für Geflügelfleisch habe sich verdoppelt.

Putin räumte ein, dass die Durchschnittswerte individuell unterschiedlich wirken: „Wenn der Lebensmittelkorb hauptsächlich aus Proteinprodukten wie Fleisch besteht, dann beeinflusst das natürlich das Familienbudget stark.“ Die wirtschaftliche Verlangsamung führte er auf die restriktive Geldpolitik der Notenbank zurück, betonte aber zugleich deren Unabhängigkeit. Ökonomen und Geschäftsleute fordern allerdings deutlich niedrigere Zinsen von 12 bis 13 Prozent, um das Wachstum anzukurbeln – aktuell liegt es nur bei einem Prozent.

Westliche Notenbanken bleiben vorsichtig

In Europa und Großbritannien zeigten sich die Zentralbanken zurückhaltender. Die Bank of England senkte zwar wie erwartet die Zinsen, doch die Entscheidung fiel denkbar knapp mit 5:4 Stimmen aus. Die Signale für weitere Lockerungen blieben gedämpft – der Markt rechnet erst im Juni mit dem nächsten Schritt.

Die Europäische Zentralbank hielt ihren Leitzins bei 2,0 Prozent und deutete faktisch das Ende des Lockerungszyklus an. Für das gesamte Jahr 2026 wird nur noch mit geringer Wahrscheinlichkeit eine weitere Senkung eingepreist. Diese Vorsicht kontrastiert mit der Situation in den USA, wo überraschend niedrige Inflationsdaten die Spekulationen auf eine baldige Zinssenkung der Federal Reserve befeuern – allerdings mit nur 24 Prozent Wahrscheinlichkeit für Januar.

Immobilienmarkt unter Druck, Einzelhandel schwächelt

Während die Zentralbanken ihre Politik justieren, zeigt sich die reale Wirtschaft zunehmend belastet. In den USA stiegen die Verkäufe bestehender Häuser im November nur marginal um 0,5 Prozent auf eine saisonbereinigte Jahresrate von 4,13 Millionen Einheiten. Die Arbeitslosenquote hatte im November mit 4,6 Prozent den höchsten Stand seit über vier Jahren erreicht, das Lohnwachstum fiel auf den schwächsten Wert seit Mai 2021.

Lawrence Yun, Chefökonom der National Association of Realtors, konstatierte: „Das Inventarwachstum beginnt zu stagnieren. Bei historisch niedrigen Zwangsversteigerungen und rekordhohen Immobilienvermögen haben Hausbesitzer es nicht eilig, ihre Objekte in den Wintermonaten zu listen.“ Obwohl die Hypothekenzinsen für 30-jährige Kredite deutlich gesunken sind, liegen sie laut Freddie Mac hartnäckig über sechs Prozent.

Auch Kanadas Einzelhandel schwächelt: Im Oktober fielen die Umsätze um 0,2 Prozent auf 69,4 Milliarden kanadische Dollar. Besonders hart traf es Lebensmittelhändler mit einem Minus von 2,0 Prozent, wobei Wein- und Spirituosenhändler in British Columbia wegen Arbeitskonflikten sogar 10,6 Prozent einbüßten. Für November zeigt eine vorläufige Schätzung zwar ein Plus von 1,2 Prozent, doch Statistik Canada warnt, diese Zahl könne noch deutlich revidiert werden.

Geopolitik belastet weiter

Im Hintergrund verschärfen geopolitische Spannungen die wirtschaftliche Unsicherheit. Die EU-Staats- und Regierungschefs einigten sich nach stundenlangen Verhandlungen darauf, der Ukraine über die nächsten zwei Jahre 90 Milliarden Euro als Kredit bereitzustellen – finanziert über gemeinsame Anleihen gegen das EU-Budget. Der ursprünglich geplante „Reparationskredit“ aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten erwies sich als zu komplex und scheiterte vor allem am Widerstand Belgiens, wo mit 185 Milliarden Euro der Großteil der insgesamt 210 Milliarden Euro russischer Gelder liegt.

„Es gab so viele Fragen zum Reparationskredit, wir mussten zu Plan B übergehen“, erklärte Belgiens Premierminister Bart De Wever. Für Ungarns Viktor Orban war das Ergebnis ein diplomatischer Erfolg: Sein Land muss sich – genau wie Tschechien und die Slowakei – nicht finanziell an dem Kredit beteiligen.

Ausblick: Divergierende Pfade

Die kommenden Monate dürften zeigen, welche Strategie aufgeht. Japans Notenbank steht vor der Herausforderung, die Zinsen weiter anzuheben, ohne die Konjunktur abzuwürgen – während gleichzeitig die neue Regierung massive Fiskalstimuli plant. Ein schwacher Yen könnte diese Gratwanderung zusätzlich erschweren. Capital Economics erwartet, dass der BOJ-Leitzins bis 2027 auf 1,75 Prozent steigen könnte.

In Russland bleibt abzuwarten, ob die vorsichtige Zinssenkung ausreicht, um das Wachstum anzukurbeln, ohne die Inflationserwartungen zu destabilisieren. Die Notenbank prognostiziert, dass nach dem erwarteten Inflationsschub Anfang 2026 die Teuerungsrate kontinuierlich sinken und 2027 die Zielmarke von vier Prozent erreichen wird – ein ehrgeiziges Ziel angesichts der strukturellen Probleme.

Die westlichen Zentralbanken navigieren derweil zwischen nachlassender Inflation und weiterhin schwacher Konjunktur. Ihre zurückhaltende Kommunikation spiegelt die Unsicherheit wider, wie nachhaltig die bisherigen Fortschritte sind. Für Anleger bedeutet das: Die Volatilität bleibt – und die Carry-Trades gegen den Yen könnten sich als riskanter erweisen, als es derzeit den Anschein hat.

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Mit über fünfzehn Jahren Erfahrung als Wirtschaftsjournalist hat sich Felix Baarz als Experte für internationale Finanzmärkte etabliert. Seine Leidenschaft gilt den Mechanismen globaler Finanzmärkte und komplexen wirtschaftspolitischen Zusammenhängen, die er für seine Leserschaft verständlich aufbereitet.In Köln geboren und aufgewachsen, entdeckte er früh sein Interesse für Wirtschaftsthemen und internationale Entwicklungen. Nach seinem Studium startete er als Wirtschaftsredakteur bei einer renommierten deutschen Fachpublikation, bevor ihn sein Weg ins Ausland führte.Ein prägendes Kapitel seiner Karriere waren die sechs Jahre in New York, wo er direkten Einblick in die globale Finanzwelt erhielt. Die Berichterstattung von der Wall Street und über weltweite wirtschaftspolitische Entscheidungen schärfte seinen Blick für globale Zusammenhänge.Heute ist Felix Baarz als freier Journalist für führende Wirtschafts- und Finanzmedien im deutschsprachigen Raum tätig. Seine Arbeit zeichnet sich durch fundierte Recherchen und präzise Analysen aus. Er möchte nicht nur Fakten präsentieren, sondern auch deren Bedeutung erklären und seinen Lesern Orientierung bieten – sei es zu wirtschaftlichen Trends, politischen Entscheidungen oder langfristigen Veränderungen in der Finanzwelt.Zusätzlich moderiert er Diskussionen und nimmt an Expertenrunden teil, um sein Wissen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dabei liegt sein Fokus darauf, komplexe Themen informativ und inspirierend zu vermitteln. Felix Baarz versteht seine journalistische Aufgabe darin, in einer sich schnell wandelnden Welt einen klaren Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu ermöglichen und seine Leser bei fundierten Entscheidungen zu unterstützen – beruflich wie privat.