Die globalen Finanzmärkte erleben eine bemerkenswerte geld- und währungspolitische Wende. Während Handelsspannungen und geopolitische Unsicherheiten die Investoren verunsichern, überraschen Zentralbanken mit unerwarteten Zinsentscheidungen. Ein völlig neues Marktumfeld zeichnet sich ab.
Norwegens überraschender Kurswechsel
Norwegens Zentralbank sorgte für die größte Überraschung: Erstmals seit fünf Jahren senkte sie den Leitzins um 25 Basispunkte auf 4,25%. Von 26 befragten Ökonomen hatten nur drei diese Entscheidung vorhergesagt. Grund für den plötzlichen Kurswechsel: Die Inflation sank stärker als erwartet und liegt mit 2,8% zwar noch über dem Zielwert, doch die Aussichten haben sich deutlich verbessert.
Zentralbankchefin Ida Wolden Bache kündigte weitere Senkungen an – bis Jahresende könnten ein bis zwei zusätzliche Cuts folgen. Bis 2028 soll der Satz sogar auf etwa 3% fallen. Diese aggressive Lockerung schwächte die norwegische Krone zunächst um 0,7% gegenüber Dollar und Euro, bevor sie sich wieder stabilisierte.
Fed und EZB zwischen Abwarten und Signaling
Die US-Notenbank Fed hielt ihre Zinsen erwartungsgemäß stabil, signalisierte aber weiterhin zwei Senkungen für 2025. Fed-Chef Jerome Powell warnte jedoch vor den inflationären Auswirkungen der Trump-Zölle: "Die Kosten müssen letztendlich bezahlt werden, und ein Teil davon fällt auf die Endverbraucher." Diese Unsicherheit macht den Zinspfad komplizierter als erhofft.
Auch die Europäische Zentralbank deutet Lockerungen an. EZB-Ratsmitglied François Villeroy de Galhau erklärte, dass bei einer Zinsbewegung in den nächsten sechs Monaten eher eine Senkung wahrscheinlich sei. Der starke Euro hilft dabei, die inflationären Risiken steigender Ölpreise zu kompensieren – eine 10%ige Euro-Aufwertung neutralisiert etwa einen Ölpreisanstieg von 10 Euro pro Barrel.
Dollar gewinnt als sicherer Hafen
Die geopolitischen Spannungen im Nahen Osten treiben Investoren in den Dollar als sicheren Hafen. Nach sieben Tagen anhaltender Konflikte zwischen Iran und Israel könnte sogar eine US-Beteiligung drohen, was die Dollarnachfrage weiter anheizt. Der Dollarindex steht vor einem Wochengewinn von 0,8% – der stärkste seit Ende Februar.
"Der Dollar scheint reif für eine Short-Covering-Rally zu sein – besonders wenn sich die USA in den Nahost-Konflikt einmischen", analysiert Matt Simpson von City Index. Die Risikoaversion dominiert und belastet risikosensitive Währungen wie den australischen und neuseeländischen Dollar, die jeweils über 0,6% verloren.
IPO-Markt unter Druck
Die Unsicherheiten zeigen sich auch am Markt für Börsengänge. Global sind die IPO-Volumina um 9,3% auf 44,3 Milliarden Dollar gesunken – das niedrigste Level seit neun Jahren. Während die USA 12% Rückgang verzeichnen und Europa sogar 64% einbricht, glänzt der asiatisch-pazifische Raum mit 28% Wachstum.
"Es ist nicht klug für Unternehmen, jetzt an die Börse zu gehen. Die Marktvolatilität ist beispiellos", warnt Isabelle Freidheim von Athena Capital. Besonders Tech-Unternehmen ohne stabile Profitabilität riskieren bei einem IPO-Flop schwer wieder aufzustehen.
Ausblick: Vorsichtige Hoffnung trotz Unsicherheiten
Trotz der aktuellen Turbulenzen sehen manche Analysten Licht am Horizont. Die zweite Jahreshälfte könnte eine Erholung bringen, wenn sich die Volatilität beruhigt. China zeigt bereits positive Signale – dort wird erwartet, dass die Leitzinsen stabil bleiben, nachdem im Mai umfassende Lockerungsmaßnahmen eingeleitet wurden.
"Das späte 2025 könnte ein klassisches ‚Trickle-then-Torrent‘-Szenario liefern, wenn sich die Volatilität beruhigt", prognostiziert Michael Ashley Schulman von Running Point Capital. Doch dafür müssen erst die geopolitischen Risiken abklingen und die Zentralbanken ihre neue koordinierte Lockerungsstrategie erfolgreich umsetzen.