Zollkrieg: Trügerischer Frieden?

USA und China kündigen Zollerleichterungen an, doch fundamentale Konflikte bleiben bestehen. Die Weltwirtschaft zeigt bereits deutliche Spuren der Handelskonflikte.

Zollkrieg: Trügerischer Frieden?
Kurz & knapp:
  • Senkung der US-Zölle auf chinesische Waren von 125% auf 34%
  • EBRD senkt Wachstumsprognosen für Osteuropa und Zentralasien
  • Investitionszurückhaltung durch anhaltende Unsicherheit
  • Automobilindustrie besonders von Zöllen betroffen

Der globale Zollkrieg scheint eine überraschende Wendung zu nehmen: Die USA und China haben Zollerleichterungen angekündigt und signalisieren eine vorübergehende Entspannung im erbitterten Handelsstreit. Am gestrigen Montag unterzeichnete US-Präsident Donald Trump eine Verordnung zur Senkung von Zöllen, woraufhin auch Peking versöhnliche Töne anschlug. Doch ist dies der Beginn einer echten Trendwende oder lediglich eine Atempause vor dem nächsten Sturm? Während die Märkte kurzfristig aufatmen, bleiben erhebliche Unsicherheiten bestehen, die Investoren weltweit in Atem halten und das globale Wirtschaftswachstum bedrohen.

USA und China: Entspannung mit Vorbehalten im Zollkrieg

Die jüngsten Schritte deuten auf eine Deeskalation im monatelangen Handelskonflikt hin. Die USA werden laut einer Verordnung des Weißen Hauses die Zölle auf sogenannte "De Minimis"-Importe aus China – Sendungen mit geringem Wert, die bisher oft zollfrei waren – von 120% auf 54% senken. Allerdings bleibt eine pauschale Mindestgebühr von 100 US-Dollar pro Sendung bestehen, was insbesondere für Günstig-E-Commerce-Plattformen wie Shein und Temu weiterhin eine erhebliche Belastung darstellt, auch wenn es eine gewisse Erleichterung gegenüber den zuvor signalisierten drastischen Preiserhöhungen bedeutet.

Darüber hinaus sieht die Verordnung vor, dass die USA ihre reziproken Handelszölle auf chinesische Waren ab dem 14. Mai von 125% auf 34% reduzieren. Im Gegenzug hat Peking seine Zölle auf US-Güter Berichten zufolge von 125% auf 10% gesenkt. Diese Schritte erfolgten nach vielversprechenden Verhandlungen am Wochenende in Genf. Die chinesische Staatszeitung "People’s Daily", ein Sprachrohr der Kommunistischen Partei, begrüßte heute die Deeskalation und signalisierte Pekings Bereitschaft zu weiteren Gesprächen, um Handelsungleichgewichte auszuräumen. Dennoch forderte der Kommentar die USA auf, ihre Praxis unilateraler Zollerhöhungen "gründlich zu korrigieren".

Trotz der Erleichterung bleiben wichtige Streitpunkte und Belastungen bestehen. Ein US-Zoll von 20% im Zusammenhang mit Chinas Rolle im Fentanylhandel sowie ein universeller US-Zoll von 10% und branchenspezifische Abgaben bleiben in Kraft. Die Gesamthöhe der US-Zölle auf chinesische Waren bleibt damit unklar und auf einem historisch hohen Niveau. Marktbeobachter weisen zudem darauf hin, dass die aktuelle Annäherung zunächst auf 90 Tage befristet sein könnte, was die längerfristige Unsicherheit kaum mildert.

Weltwirtschaft unter Druck: Investitionsstau und gedämpfte Prognosen

Die anhaltenden handelspolitischen Spannungen der vergangenen Monate haben bereits deutliche Spuren in der Weltwirtschaft hinterlassen. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) hat heute zum vierten Mal in Folge ihre Wachstumsprognosen für die von ihr betreuten Regionen (Osteuropa, Zentralasien, Naher Osten, Afrika) gesenkt. Für 2025 wird nun nur noch ein Wachstum von 3% erwartet, 0,2 Prozentpunkte weniger als noch im Februar prognostiziert. Als Hauptgründe nannte die EBRD-Chefökonomin Beata Javorcik die globalen Handelskonflikte, Kriege und konjunkturelle Sorgen in wichtigen Wirtschaftsmotoren wie Deutschland und China. "Fast kein Land bleibt unberührt von dem, was in der Welt geschieht", so Javorcik. Besonders stark von US-Zollerhöhungen betroffen seien die Slowakei und Ungarn, deren Wirtschaft stark auf die Automobilindustrie ausgerichtet ist und deren Wachstumsprognosen für 2025 um 0,5 Prozentpunkte auf 1,4% bzw. 1,5% nach unten korrigiert wurden. Die EBRD betonte, dass ihre Analyse vor den jüngsten Nachrichten über Zollsenkungen erstellt wurde.

Die Unsicherheit führt weltweit zu einer spürbaren Investitionszurückhaltung. "Unternehmen halten Investitionen an und warten ab, was passieren wird", erklärte Javorcik. Die Sorge um den Marktzugang habe die bisherige Fokussierung auf die Resilienz globaler Lieferketten abgelöst. Dies bestätigt auch eine heute veröffentlichte Umfrage der National Australia Bank (NAB), die eine gedämpfte Geschäftsaktivität in Australien im April zeigt. Der Index für die Geschäftslage fiel und lag deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt, während der Index für das Vertrauen schwach blieb. Besonders auffällig war ein starker Rückgang des Indexes für Kapitalausgaben, was darauf hindeutet, dass Unternehmen Investitionspläne aufschieben. Zwar erholte sich die australische Konsumstimmung im Mai laut einer ebenfalls heute veröffentlichten Westpac-Umfrage leicht von einem zollbedingten Einbruch im Vormonat, blieb aber insgesamt "deutlich pessimistisch".

Für Deutschland, den wichtigsten Handelspartner für zehn EBRD-Volkswirtschaften, wird heute die Veröffentlichung der ZEW-Konjunkturerwartungen für Mai mit Spannung erwartet. Analysten hoffen auf eine Erholung, nachdem Sorgen über Zölle die Stimmung zuletzt auf den tiefsten Stand seit Beginn des Ukraine-Krieges gedrückt hatten.

Branchen im Fokus: Zwischen Hoffnung und neuen Hürden

Die Auswirkungen der Handelspolitik sind in verschiedenen Sektoren unterschiedlich stark zu spüren. Für E-Commerce-Unternehmen wie Shein und Temu, die stark auf preisgünstige Direktimporte in die USA setzen, bedeutet die Anpassung der "De Minimis"-Regelung zwar eine Verbesserung gegenüber dem Worst-Case-Szenario, die neuen Abgaben dürften aber weiterhin die Preise für US-Konsumenten erhöhen.

Die Automobilindustrie, insbesondere in Ländern mit hoher Exportabhängigkeit wie der Slowakei und Ungarn, leidet direkt unter den verhängten oder angedrohten US-Zöllen, wie die EBRD-Analyse zeigt.

Im Pharmasektor sorgten jüngste Äußerungen von US-Präsident Trump über hohe Medikamentenpreise in den USA für Bewegung. Insbesondere Aktien von Herstellern teurer Adipositas-Medikamente wie Novo Nordisk und Eli Lilly gerieten unter Druck. Die Marktteilnehmer warten gespannt auf Aussagen von Bayer, die heute ihre Quartalsergebnisse vorlegen, wie der deutsche Pharma- und Agrarkonzern die unsichere Lage navigieren will.

Parallel zu den Handelsgesprächen setzt Präsident Trump seine Wirtschaftsdiplomatie fort. Er trifft heute Morgen in Saudi-Arabien ein, um eine viertägige Reise durch die Golfregion zu beginnen, die ihn auch nach Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate führen wird. Im Mittelpunkt stehen Wirtschaftsdeals in Billionenhöhe. Trump wird von prominenten Wirtschaftsführern wie Tesla-Chef Elon Musk begleitet. Erwartet wird unter anderem die Ankündigung eines Rüstungspakets für Saudi-Arabien im Wert von über 100 Milliarden US-Dollar. Diese Reise unterstreicht Trumps Fokus auf bilaterale Abkommen und seine "America First"-Doktrin, die neben den großen Handelskonflikten die globale Wirtschaftslandschaft prägt.

Ausblick: Märkte zwischen neuen Deals und alten Konflikten

Die Finanzmärkte reagierten auf die Nachrichten einer möglichen Deeskalation im Zollkrieg zwischen den USA und China mit vorübergehender Erleichterung, doch die Grundstimmung bleibt von Vorsicht geprägt. Die kommenden Tage werden wichtige Wirtschaftsdaten liefern, die weitere Hinweise auf die konjunkturelle Verfassung geben könnten. Dazu zählen heute die ZEW-Konjunkturerwartungen aus Deutschland und die US-Verbraucherpreisdaten (CPI) für April. Letztere sind ein wichtiger Indikator für die zukünftige Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve. Die Erwartungen an Zinssenkungen in den USA sind zuletzt bereits deutlich zurückgegangen. Ebenfalls im Fokus stehen heute Reden von BoE-Gouverneur Andrew Bailey und Chefökonom Huw Pill sowie Arbeitsmarktdaten aus Großbritannien.

Während die USA auf bilaterale Deals setzen, baut China seine Handelsbeziehungen in andere Regionen aus. Wie Präsident Xi Jinping heute bekannt gab, überstieg der Handel zwischen China und Lateinamerika im Jahr 2024 erstmals die Marke von 500 Milliarden US-Dollar.

Die EBRD zeigte sich in ihrem heutigen Bericht zudem skeptisch gegenüber den Schuldenprognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die von ihr abgedeckten Regionen und hält diese angesichts steigender Staatsausgaben, etwa für Verteidigung, für "zu optimistisch".

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die jüngsten Entspannungssignale im Zollkrieg zwar positiv sind, die fundamentalen Konflikte und Unsicherheiten jedoch weiter bestehen. Die globalen Märkte dürften volatil bleiben, solange keine klaren und nachhaltigen Lösungen für die handelspolitischen Spannungen gefunden werden. Die kommenden Monate werden entscheidend dafür sein, ob der "trügerische Frieden" hält oder ob neue Eskalationen drohen, die das ohnehin fragile globale Wirtschaftswachstum weiter belasten.

Über Felix Baarz 162 Artikel
Mit über fünfzehn Jahren Erfahrung als Wirtschaftsjournalist hat sich Felix Baarz als Experte für internationale Finanzmärkte etabliert. Seine Leidenschaft gilt den Mechanismen globaler Finanzmärkte und komplexen wirtschaftspolitischen Zusammenhängen, die er für seine Leserschaft verständlich aufbereitet.In Köln geboren und aufgewachsen, entdeckte er früh sein Interesse für Wirtschaftsthemen und internationale Entwicklungen. Nach seinem Studium startete er als Wirtschaftsredakteur bei einer renommierten deutschen Fachpublikation, bevor ihn sein Weg ins Ausland führte.Ein prägendes Kapitel seiner Karriere waren die sechs Jahre in New York, wo er direkten Einblick in die globale Finanzwelt erhielt. Die Berichterstattung von der Wall Street und über weltweite wirtschaftspolitische Entscheidungen schärfte seinen Blick für globale Zusammenhänge.Heute ist Felix Baarz als freier Journalist für führende Wirtschafts- und Finanzmedien im deutschsprachigen Raum tätig. Seine Arbeit zeichnet sich durch fundierte Recherchen und präzise Analysen aus. Er möchte nicht nur Fakten präsentieren, sondern auch deren Bedeutung erklären und seinen Lesern Orientierung bieten – sei es zu wirtschaftlichen Trends, politischen Entscheidungen oder langfristigen Veränderungen in der Finanzwelt.Zusätzlich moderiert er Diskussionen und nimmt an Expertenrunden teil, um sein Wissen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dabei liegt sein Fokus darauf, komplexe Themen informativ und inspirierend zu vermitteln. Felix Baarz versteht seine journalistische Aufgabe darin, in einer sich schnell wandelnden Welt einen klaren Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge zu ermöglichen und seine Leser bei fundierten Entscheidungen zu unterstützen – beruflich wie privat.