Am 15.8. warnten wir vor erhöhtem Risiko an den Aktienmärkten. Wir erwarteten eine Phase der Richtungssuche mit mehr Volatilität. Wie hat sich der Markt seitdem entwickelt?
Die Rally der ersten Jahreshälfte war recht deutlich im Vorfeld zu erkennen und gut mitzunehmen, diese sollte unserer Meinung aber vorerst ein Ende finden bzw. pausieren. In den letzten Tagen zeigte der Markt nun auch erste Anzeichen signifikanter Schwäche. Im großen Bild war sie kaum nennenswert, aber trotzdem in Relation zu der Bewegung seit Corona eine der größten Abwärtsbewegungen. Diese Rally seit Frühling 2020 war absolut ungewöhnlich – das sollte man sich hier noch einmal vor Augen führen. Der Markt ist vorerst weiter in seiner Richtungssuche gefangen, es gibt aber deutliche Anzeichen für weitere Vorsicht ebenso wie für große Chancen am Markt. Betrachten wir zuerst einmal das große Bild anhand des S&P 500:
Je nachdem wie man den Trend seit Corona interpretiert und die Trendlinie zeichnet, kann man den Trend mit dem gestrigen Tag als gebrochen betrachten. Man muss dies aber nicht und kann den Trend auch großzügiger zeichnen. Kommt es zu einem signifikanten Rücksetzer sehen wir die nächste wirklich schöne Unterstützung erst gut 20 % tiefer im Bereich von 3400 bis 3700 Punkten. Was spricht nun für und gegen einen deutlichen Rücksetzer.
1. Rally: Marktbreite
Dieser Chart zeigt, wie viele Aktien sich in einer Aufwärtsbewegung bzw. Abwärtsbewegung befinden (Kerzen) im Gegensatz zum S&P (orange). Anfang des Jahres sahen wir eine massive, marktbreite Aufwärtsbewegung, die sich graduell abschwächte. Inzwischen sind die viele Aktien bereits tief in einer Abwärtsbewegung. Der Indikator hat eine Tiefe erreicht, bei der in der Vergangenheit kleinere Rücksetzer ihr Ende fanden. Ausnahmen waren dabei die großen Bewegungen (2015/16, Handelskrieg 2018, Corona 2020).
2. Crash: Transport & Homebuilding
Die Sektoren Transport und Hausbau haben sich in der Vergangenheit als Frühindikatoren für den Gesamtmarkt bewährt. An ihnen kann man die Aktivität der Wirtschaft und die Investitionsfreude der Bevölkerung ablesen. Seit Mai findet in diesen Sektoren relativ zum Markt eine deutliche Abwärtsbewegung statt. In der Vergangenheit war derartige Schwäche ein gutes Warnsignal für Unruhen an den Märkten.
3. Rally: Robotics & AI
Ein weiterer Sektor, der gut als Früherkennungssystem funktioniert ist Robotics & AI. Die Geschäfte laufen in dem Bereich gut, wenn Produktionskapazitäten ausgebaut, Prozesse optimiert oder allgemein Investitionen durch Unternehmen für die Zukunft getätigt werden. Er ist damit ein guter Proxy für die Vorsicht bzw. den Optimismus der Wirtschaft. Auch hier sahen wir seit Frühjahr relative Schwäche. Diese scheint aber bereits vorüber zu sein und der Sektor scheint bereits in den nächsten Zyklus der Stärke zu wechseln.
4. Crash: Wirtschaft
Im letzten Artikel war der Wirtschaftsindikator ein Grund für die gewachsene Vorsicht. An diesem Punkt hat sich nichts geändert und die Diskrepanz zwischen Realität und Aktienmarkt, die sich seit Mai aufbaute, bleibt weiterhin bestehen.
5. Crash: Markttiming langfristig
In unserem Marktkommentar für Abonnenten haben wir vergangen Donnerstag noch einmal eine deutliche Warnung auf Basis unseres Markttiming-Modells ausgesprochen. Die langfristigen Signale kamen vermehrt, wenn auch nicht so gehäuft wie bspw. im Sommer 2018. Vor allem sahen wir in die leichte Abwärtsbewegung keinerlei Besserung – ein Warnsignal.
6. Rally: Markttiming kurzfristig
Am Montag hatte sich die Lage bereits deutlich verändert, zumindest aus kurzfristiger Sicht. Ein Kaufsignal im kurzfristigen Markttiming kombiniert mit einem noch einmal drastisch gefallenen Stimmungsbarometer veranlassten uns dazu, auf neue Chancen aufmerksam zu machen. Gestern rutschte der Markt tagsüber noch deutlich ab, konnte sich aber zum Handelsschluss erholen. Heute sehen wir die Fortsetzung dieser Erholung und auf kurzfristiger Basis bleiben die Chancen weiter gut. Die Stimmung unter Privatanlegern ist weiterhin extrem pessimistisch, so wie wir es sonst eher aus Crash-Phasen kennen.
7. Kritischer Punkt: Geld
Zu guter Letzt einmal das ganz große Bild: Der S&P 500 im Gegensatz zur Geldmenge im Umlauf. Dieser Chart zeigt, wie teuer der Markt in Wirklichkeit ist. Und zwar ist er jetzt exakt so teuer, wie direkt vor dem Corona Crash oder auch vor der Bankenkrise 2007. Die Dotcom-Blase von 2000 hat ihn allerdings in deutlich teurere Regionen gehoben.
Was nun?
Was nun am Markt passiert, kann ich nicht sagen. Ich sehe die Warnsignale, aber die Stimmung unter Privatanlegern ist derart schlecht, dass eine nachhaltige Abwärtsbewegung schwierig wird. Ein derartig anhaltender Pessimismus im Angesicht eines starken Marktes ist mir in dem Maß noch nicht annähernd untergekommen. Hier gibt es viel Potential für steigenden Kurse durch neue Käufer, deren Pessimismus aufgrund steigender Kurse kapituliert. Auf der anderen Seite war die Rally bisher extrem und in der Marktstruktur und aus Makroperspektive zeigen sich tiefe Risse.
Wie man damit umgeht, hängt ganz vom eigenen Stil ab. Ich persönlich habe einige Hedges gegen den Fall eines 20 % Rücksetzer aufgebaut. Dafür benutze ich einen Put-Spread auf den S&P. Das ist nur eine Option, wenn man Zugang zu echten Optionen hat. Der Spread steigt auf das 15fache seines Kaufwertes, sollte der Markt um 20 % fallen, und verfällt ansonsten wertlos. Die einfachste Variante ist immer schlicht mehr Cash zu halten. Kurzfristig kann man taktisch mit Stop-Loss gegen das Tief von Montag kontrolliert agieren.
Viel Erfolg vorab,
Ihr Lars Wißler von Leeway.tech
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