Das Bewertungsdilemma an den Aktienmärkten

Die Börsen kommen in den letzten Wochen nur noch wenig voran. Während die Aktien hektisch hin und her zucken, kommt es zuletzt kaum noch zu deutlichen Trends über mehrere Tage. Als Investor hat man ein wenig das Gefühl, als wären die Marktteilnehmer ratlos über die zukünftigen Aussichten an den Börsen. Und dieses Gefühl ist berechtigt. Denn der Markt steckt in einem Bewertungsdilemma.

Vor ein paar Wochen warnte ich in einem Artikel über die Gefahr von fallenden Kursen am Aktienmarkt. Dieses Gefühl war berechtigt und der Markt kam ein ordentliches Stück zurück. Doch während viele Händler pessimistisch wurden, rückten für mich wieder andere Faktoren in den Vordergrund, die durchaus stützend wirken sollten. Und wie ein Ping Pong Ball tat zum Beispiel der deutsche Aktienmarkt genau das, was auch zu erwarten war. Er stieg wieder an, getrieben durch die ultralockere Geldpolitik. Zusätzlich zu diesem Umstand kamen dann noch 2 Nachrichten zu möglichen Impfstoffkandidaten, die das Coronavirus unter Kontrolle bringen könnten. Auf diese Nachrichten reagierte der Aktienmarkt mit einem wahren Kursfeuerwerk.

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Doch auch diese Freude währte wohl nur kurz. Seit dem gestrigen Handelstag macht der Markt keinen so festen Eindruck mehr. Wie ist das zu erklären?

Aktienmarktbewertung nach Shiller KGV sehr hoch

Es gibt viele verschiedene Ansätze sich der Bewertung von Aktien zu nähern. Eine der bekanntesten Methoden ist die Bewertung über das KGV. Das KGV gibt eine Zahl wieder, die den aktuellen Kurs ins Verhältnis zum Gewinn je Aktie setzt (KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis). Übersetzt heißt das, dass die Aktien mit einem niedrigen KGV „günstig“ sind. Aktie mit einem hohen KGV werden wiederum als unattraktiv eingeschätzt.

Aktienbewertung mit dem KGV

Durch Krisensituationen wie die aktuell schwanken die KGVs allerdings stark, denn die Unternehmen passen die Gewinnaussicht den vorherrschenden Marktbedingungen an. Daher gilt für viele professionelle Marktteilnehmer das sogenannte Shiller KGV als besonders aussagekräftig. Denn anders als beim klassischen Kurs-Gewinn-Verhältnis schaut das Shiller KGV auf einen über zehn Jahre geglätteten Gewinn, der zugleich inflationsbereinigte wird.

Daher ist dieses KGV für die Bewertung der Aktienmärkte weniger anfällig für kurzfristige Verzerrungen. Dieses Shiller KGV ist aktuell wieder auf Werte von über 30 gestiegen. Historisch betrachtet sind wir damit bereits sehr hoch bewertet. Nur in zwei Phasen der letzten 100 Jahre kam es zu ähnlich hohen Bewertungen. Die erste Phase war die große Hausse vor dem Jahre 1929, die durch den großen Crash und die Weltwirtschaftskrise beendet wurde. Die zweite Phase waren die Technologieblase um das Jahr 2000. In beiden Situationen folgten für Anleger sehr magere Jahre im Aktienmarkt. Doch lässt sich die heutige Situation mit diesen beiden Phasen vergleichen?

Pro und Contra für Aktien

Um diese Frage zu beantworten muss man sich mehr ansehen, als nur eine einzelne Kennziffer wie das Shiller KGV. Denn die Bewertung des Aktienmarktes hängt an vielen Kennziffern, die deutlich weniger einfach zu beurteilen sind, als der Kurs zum Gewinn im Verhältnis.
Einer der wichtigsten Einflussfaktoren für die Bewertung von Aktien sind die möglichen Opportunitäten am Markt für Geldanlagen. Denn ob Aktien attraktiv sind, bestimmen auch die Preise am Anleihe und Immobilienmarkt. Je nachdem wie hoch die zu erwartenden Erträge aus diesen beiden Märkten sind, können Aktien trotz hoher KGVs dennoch relativ günstig sein. Um also zu verstehen, warum die Märkte nervös wirken, müssen wir auf die verschiedenen Einflussfaktoren im aktuellen Jahr 2020 schauen. Hier nun eine (nicht vollständige) Liste mit Argumenten für und gegen Aktien:

Pro Aktienmarkt:

  • minimale Erträge aus dem Anleihemarkt durch das tiefe Zinsniveau und die niedrigen Risikospreads (Das Risiko von Anleiheausfällen wird kaum bezahlt)
  • sehr schnelle Ausweitung der Geldmenge durch ultralockere Geldpolitik (eine wachende Geldmenge steht einem „begrenztem“ Angebot an Aktien gegenüber)
  • Kaufpreisfaktor im Immobilienmarkt sehr hoch (Die Rendite auf das eingesetzte Kapital sinkt)
  • Niedrige Zinsen sorgen für höhere Gewinn bei verschuldete Unternehmen (Entlastung der GUV)
  • Das niedrige Zinsniveau treibt Aktienrückkäufe der Unternehmen (Der Gewinn des Unternehmens verteilt sich auf weniger ausgegebene Aktien)
  • Dividendenrendite viele Aktien notiert über den Zinserträgen aus den Unternehmensanleihen (3 % Dividende wirkt attraktiver als 2 % Zins)
  • Die Hausse treibt die Hausse (Seit dem Jahr 2009 ging es mit einigen Unterbrechungen nur nach oben für die Aktienmärkte)
  • Erste Versuche mit Helikoptergeld durch die Coronakrise (Verteilen von Geld an die Bevölkerung ohne Gegenleistung)
  • Niedrige Kosten für Energie (Ölpreis ist vor allem zu Beginn des Jahres deutlich unter Druck gewesen und sogar negativ geworden)
  • große Konjunkturprogramme (die Auftragsbücher könnten wieder gefüllt werden)

Contra Aktienmarkt:

  • die Bewertung über das Shiller KGV zeigt einen sehr hoch bewerteten Markt (Shiller > 30)
  • auch andere Bewertungskriterien sind auf sehr hohem Niveau (z.B. die Marktkapitalisierung zum BIP siehe Twitter)
  • das BIP erlebte im Jahr 2020 einen historischen Einbruch (einige Unternehmen werden das Jahr 2020 nicht überstehen und aufgeben müssen)
  • schnelle und starke Transformation im Verbraucherverhalten stützt nur einige wenige Konzerne (Stichwort Onlinehandel)
  • das Wegbrechen von Lieferketten sorgt für Produktionsausfälle (die Wirtschaft ist komplex und miteinander verbunden)
  • weiter Lockdowns durch Coronavirus denkbar (im Lockdown wird weniger konsumiert und einige Branchen stehen komplett still)
  • Verschuldung in den Unternehmen ist zuletzt deutlich gestiegen (unproduktive Schulden für Aktienrückkäufe)
  • riesige Vermögensblase durch Geldpolitik (die Notenbanken befeuern mit ihrer Krisenpolitik die Preise für Anlagen)
  • Kleinanleger finden an den Aktienmarkt (oftmals ein Zeichen einer bevorstehenden Korrektur)

Diese Liste ist nicht vollständig und soll nur einen Einblick in die Bedingungen liefern, die die Märkte aktuell bewegen. Eine Situation wie die aktuelle ist äußerst selten an den Märkten zu finden. Die Beurteilung des Marktes erfolgt jeden Tag aufs Neue, wobei je nach Nachrichtenlage mal die Bewertung der Aktien und ein anderes Mal das Coronavirus im Fokus stehen.

Das Bewertungsdilemma wird uns weiter beschäftigen

In ruhigeren Zeiten der Aktienmärkte sind es vor allem die Bewertungen der Aktien und das aktuelle Zinsniveau, welche auf die Märkte Einfluss nehmen. Allerdings hat die große Finanzkrise und die darauf folgende Krisenpolitik der Notenbanken den Markt in einen Sondermodus versetzt. Als dann auch noch das Coronavirus in den Fokus der Welt gelangte, waren die Kursbewegungen noch irrealer als in den Jahren davor. Zwischen historischen Abstürzen, wie zu Beginn des Jahres, und massiven Rallyes bewegen sich die Aktien oftmals mit hoher Geschwindigkeit. Einige wenige Gesellschaften profitieren dabei ganz besonders, allerdings bedarf es mittelfristig mehr als nur 5 großer Gesellschaften, die die Geschäfte ihres Lebens machen. Und genau hier zeigt sich das aktuelle Bewertungsdilemma.

Während es gute Gründe gibt einige Aktien zu halten, ist die Aussicht für die gesamte Wirtschaft eher angespannt und nur noch schwer kalkulierbar. Die Hoffnung auf einen Impfstoff, der die aktuelle Phase wieder kalkulierbarer machen soll ist zwar gegeben, allerdings in der aktuellen Bewertung schon deutlich eingepreist. Aus diesem Grund müssen wir uns wohl an die schnellen Richtungswechsel gewöhnen und auch wenn es aktuell nur schwer vorstellbar ist, so werden wir in den nächsten Monaten wohl wieder mit starken Abwärtswellen rechnen können. Doch auch hier werden die Notenbanken Wege finden die Märkte zu beruhigen. Die Maßnahmen der Zukunft dürften über QE-Programm am Anleihenmarkt hinausgehen. Damit zeigt sich deutlich, dass die Zukunft wohl sehr spannend bleiben wird.

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