Oft wird die Diversifikation als einziges „Free Lunch“ an der Börse bezeichnet. Es wird gemeinhin angenommen, dass die Diversifikation, also die Ausweitung der „Wahlmöglichkeiten“, zu einer Risikominderung führt und dabei sich die Chancen auch noch erhöhen. Dieser Annahme bzw. Theorie möchte ich mich in diesem Artikel nähern.
Die Diversifikation
Eigentlich ist die Aufteilung des Vermögens eine gemeinhin anerkannte Sache, die sich schon seit einigen Jahrtausenden durchgesetzt hat. Ja, sie wurde schon in der Bibel angesprochen. Es war und ist eine einfache Heuristik, dass man nicht alle Eier in einen Korb legen sollte. Dieser Rat klingt nicht nur logisch, er ist es auch.
Ein Bauer sagte einmal, eine Ernte auf dem Feld, eine auf dem Hof und eine auf der Bank. Es gibt viele Sprüche, die die Wichtigkeit der Diversifikation hervorheben.
Doch aus der Praxis wurde Theorie. Die Theorie, schon fußend auf falschen Annahmen, wie der perfekten Informationstheorie, machten aus einem einfachen Sachverhalt etwas komplexes und verkomplizierten es im Anschluss weiter. Komplex und kompliziert sind nie eine gute Mischung. Doch so kam es zur modernen Portfoliotheorie und ihren Auswüchsen.
Natürlich stimmt es, dass man nicht sein ganzes Geld in eine Aktie stecken sollte, ich denke, dass das auch den meisten bewusst ist. Die Aufteilung auf verschiedene Aktien, das muss man unbedingt festhalten, schützt zwar vor dem Einzelrisiko, also einer möglichen Pleite, doch die Kursschwankungen, wie auch die des Portfolios, werden dadurch nicht unbedingt abgemildert.
Heutzutage wird unter der Diversifikation nicht nur die Aufteilung des Vermögens auf Aktien aus verschiedenen Sektoren verstanden, sondern auch die „optimale“ Aufteilung auf die unterschiedlichen Assetklassen. Es klingt verlockend und ist oberflächlich betrachtet sogar richtig, doch hier müssen wir wohl nochmal einen Schritt zurück wagen.
Diese verlockende und magische Risikominderung baut auf welchen Gedankengang auf?
Genau, dass die Information perfekt und die Korrelation stabil ist, auch ein falsches Verständnis von Risiko spielt hier mit hinein. Also schauen wir uns diese drei Punkte einmal genauer an.
Baut auf fehlerhafte Gedanken
„Unser Wissen ist ein kritisches Raten, ein Netz von Hypothesen, ein Gewebe von Vermutungen.“
Karl Popper, Logik der Forschung
In einem komplexen System, wie dem unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsorganisation, sind die theoretischen Modelle mangelhaft und sollten auch so behandelt werden. Eine blinde Gefolgschaft führt zwangsläufig in den Untergang. Die Information, die die Agenten haben, sind nie vollständig, es würde ja beinhalten, dass sie in die Zukunft blicken könnten. Es ist zu oft eine lineare Annahme, die auf eine dynamische Umgebung trifft und damit zumeist krachend scheitert.
Die Korrelation ist instabil
Auch die Korrelationsanalyse ist fehlerhaft, denn sie ist nur eine Momentaufnahme und selbst die langfristigen Erhebungen, beinhalten nicht genügend Datenpunkte, als dass sich eine der Realität nahestehende Aussage treffen ließe. Damit aber nicht genug, trotz einer Korrelation von -1, können zwei Assets zeitgleich abstürzen, ohne dass sich ihre Korrelation dramatisch verändert.
Cross Asset Korrelationen sind im höchsten Maße instabil und geben dem Anwender nur eine Kontrollillusion, mehr nicht. Eine Beobachtung die in den meisten Krisen und Finanzmarkt-Dramen gemacht werden konnte, ist, dass sich alle Assetklassen parallel zueinander verhalten. Nicht nur Assetklasse A stürzt ab, sondern durch die bilanziellen Interdependenzen sind alle anderen Assetklassen mit dieser Verbunden.
In einer normalen Umgebung zeigen sich Korrelationen recht stabil, besser gesagt illusorisch stabil, doch kommt es zu einem Extrem, sieht es gänzlich anders aus. Doch ist es nicht das Ziel, das Risiko, dass von diesen Extremen ausgeht, zu mindern? Eigentlich schon, außer es herrscht einfach ein falsches Verständnis von Risiko vor.
Definieren wir hier kurz nochmal den Begriff Risiko.
Das falsch verstandene Risiko
Der Begriff Risiko ist allgemein als Kombination von Gefahr und deren Eintrittswahrscheinlichkeit definiert. Oder anders ausgedrückt: Risiko wird als die Kombination der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und der Schadenschwere bestimmt.
Genau hier liegt der Denkfehler der Theoristen, sie sehen nur die Eintrittswahrscheinlichkeit und übersehen die potentielle Schadensschwere. Damit kommt es zu Aussagen, die einfach jedweder Praxis widersprechen. Ein Crash ist äußerst unwahrscheinlich und kann deshalb in einer langfristigen Betrachtung vernachlässigt werden oder die Risikoaversion ist zu hoch. Zwei Aussagen die man leider allzu oft lesen kann.
Nicht nur das, sondern der Unterschied zwischen einer Zeitreihe und dem eines Ensembles ist ihnen auch nicht wirklich bewusst. An dieser Stelle möchte ich auf Nassim Nicholas Taleb verweisen, der in seinem Buch „Skin in the Game“ den Unterschied einfach aufgezeigt hat.
Ensemble vs. Zeitreihe
Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand im Kasino Pleite geht, liegt bei 1%. Das bedeutet, dass eine Person von 100 in einem Kasino alles verliert und damit aus dem Spiel ist.
Nehmen wir folgendes einmal an. 100 Personen gehen in ein Kasino und spielen die ganze Nacht. Eine von den 100 Personen verliert ihr Geld, doch 99 verlassen ohne größeren finanziellen Schaden das Haus. Aus dieser Warte heraus erscheint ein Kasinobesuch recht harmlos, doch ist es irreführend. Es ist ein Ensemble, bei dem nicht das Individuum in einer Zeitreihe betrachtet wird, sondern die Masse zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Geht jedoch eine Person 100 mal hintereinander in ein Kasino, steigt das Risiko, also der völlige Verlust des Kapitals, auf nahe 100%. Damit ist die Person aus dem Spiel und eine weitere Teilnahme ist nicht mehr möglich.
Meide das Ruin Risiko
Es ist das Ruin Risiko, die Absorptionsbarriere die uns als Anleger interessiert und welche wir unter allen Umständen meiden müssen. Wir erinnern uns hier kurz an den Unterschied zwischen dem Denken eines Investors und dem eines Unternehmers und der frappierenden Ähnlichkeit der Präferenzen eines Unternehmers mit denen eines Privatanlegers. Diese Gedanken hatte ich in dem Artikel „Alles hat einen Preis, hat damit auch alles einen Wert?“ näher erörtert.
Fassen wir hier kurz zusammen was wir bisher festgestellt haben.
- Die Information ist nicht Perfekt, sie ist im höchsten Maße unvollständig!
- Cross Asset Korrelationen sind instabil. In Normalen Zeiten verführen sie mit einer Kontrollillusion und beim Eintritt eines Extrems brechen sie ineinander und alles bewegt sich nahezu gleich.
- Risiko ist nicht nur die Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern die Eintrittswahrscheinlichkeit im Zusammenspiel mit der potentiellen Schadensschwere. Das Ruin Risiko muss unbedingt vermieden werden, denn ansonsten scheidet man aus und ist ruiniert.
Da jedoch den Modellen großer Glauben geschenkt wird, weil sie ja auch „wissenschaftlich“ korrekt sind, wurden darauf basierende Lösungen entwickelt. Diese funktionieren auch richtig gut, solang die Umgebung sich normal, also linear verhält.
Führen zu Illusorischen Lösungen
Aktien und Staatsanleihen höchster Bonität stehen in einer negativen Korrelation zueinander. Steigen Aktien, so fällt der Kurs der Anleihen, denn die Zinsen steigen. Fallen Aktien so steigt der Kurswert der Anleihen, weil die Zinsen sinken. So die theoretische Überlegung zu einem typischen 60/40 Portfolio. Um das offensichtlich „größere“ Risiko der Aktien im Portfolio abzumildern, wird in Anleihen investiert, da sie sich den Aktien entgegen verhalten und auch so eine geringere Volatilität aufweisen.
Hinter diesem praktischen Beispiel steht nicht nur die Annahme der Korrelation, sondern auch die, dass sich Risiken in einem Portfolio gegeneinander aufrechnen lassen. So kommt es, dass in einem Risikogewichteten Portfolio, einem sogenannten Risk Parity Portfolio zuerst versucht wird das Aktien Risiko durch die Beimischung von Anleihen zu mindern, um im Anschluss die Anleihe Position zu hebeln, sodass eine Gleichgewichtung des Risikos der Positionen erreicht wird.
Zuerst wird also versucht das Risiko zu mindern und im Anschluss wird es durch den Einsatz eines Hebels maximiert. Zu solchen Unglücken, die aus dem Labor entkommen und sich in der Realität ausgebreitet haben, kommt es, wenn die Anwender eben jener Kontrollillusion verfallen. Sie sehen die Eintrittswahrscheinlichkeit, die Korrelation, die Volatilität, doch das Ruin Risiko welches definitiv in diesem Verhalten lauert wird erst gar nicht wahrgenommen. Es kommt dazu, wenn ein dynamischer Prozess, ein Komplexes System, Linear betrachtet wird.
Doch das ist noch nicht der Kardinalsfehler. Nein der schlimmste anzunehmende Unfall entsteht durch die irrige Annahme, dass sich Risiken gegeneinander aufrechnen lassen.
Und damit zu unnötig komplexen Portfolios
Ok, wir haben ein Portfolio welches aus Aktien besteht und wollen das Risiko mindern.
Risiken die bei einem Aktieninvestment immer mit schwimmen sind eine mögliche Pleite, Kapitalmaßnahmen, Unternehmensspezifische Risiken (z.B. Bayer Monsanto Rechtsrisiken oder Rückrufaktion Automobilindustrie oder Flugzeugabsturz Luftfahrtbranche), Kursrisiken und so weiter. Eine Assetklasse mit einer spezifischen Risikowolke, die jedoch verständlich ist.
Jetzt nehmen wir zur Abmilderung dieser genannten Risiken eine weitere hinzu, die auch noch gegenüber Aktien eine Korrelation kleiner 1 aufweist. Im Fall der jetzt hinzugenommenen Staatsanleihen ist sie sogar stellenweise negativ. Jedoch sind die Anleihen auch nicht frei von Risiken, denn sie bringen z.B. solche wie Default-, Zins- und Inflationsrisiken mit, die sich nicht gegen die Aktienrisiken aufrechnen lassen. In diesem Fall ist nichts anderes geschehen, als das ein weiteres Risiko hinzugefügt wurde, welches sich mit dem der Aktien addiert und sogar Potenziert. Das Risiko des Portfolios ist nicht gemindert worden, sondern hat sich erhöht. Etwas was in Normalen Zeiten nicht auffällt, doch in Extrem Situationen kommt es zutage.
Und jetzt stellen wir uns einmal vor, dass wir nicht nur Aktien und Anleihen in einem Portfolio haben, sondern auch noch verschiedene Währungen, Rohstoffe, Cash und Derivative Produkte (Futures, Optionen, Swaps, Swaptions, Strukturierte Produkte, ETN´s, ETF´s, ETP´s). So wird das Risiko nur theoretisch gemindert, doch in Wirklichkeit dramatisch erhöht, denn jegliche Assetklasse hat ihre eigene spezifische Risikowolke. Es sammeln sich auf diese Weise sehr schnell versteckte Risiken an, die in einer Extremsituation zum Ruin führen können. Zum Beispiel unterscheidet sich die Risikowolke eines ETF´s der einen Aktienindex tracked von der Risikowolke der in diesem Index enthaltenen Aktien.
Kein Free Lunch
Nein, die Diversifikation ist kein Free Lunch. Sie funktioniert in einem begrenzten Maße, doch sie ist nicht das Allheilmittel, als welches sie dargestellt wird. Schlimmstenfalls verkompliziert sie ein Portfolio und lässt die Komplexität zudem ansteigen, sodass die Wechselwirkungen überhaupt nicht mehr überblickt werden können.
Die über viele Assetklassen erfolgende Diversifikation ist nichts weiter als ein Marketing Gag der Finanzindustrie, sie funktioniert solange alles Normal, also Linear verläuft, doch kommt es zu Extremereignissen, bietet sie keinen Schutz, sondern erhöht das Risiko. Das Einzige was hier optimiert wird sind die Gebühreneinnahmen der Börsen, Broker, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Banken.
Märkte kümmern sich nicht um das, was als Normal angesehen wird, sie lieben die Extreme. Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt.
Der Private Anleger ist besser beraten sich auf wenige Assetklassen zu konzentrieren, wie etwa Aktien, Cash und Edelmetalle, denn die Risiken, die diesen drei Klassen entwachsen sind auch für den normalen Anleger überschaubar. Er darf nur nicht in das Verhalten eines Investors verfallen und sich ausschließlich auf die Preise konzentrieren, ohne den eigentlichen Wert zu hinterfragen.